Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Eindruck der Revolution in Deutschland. 115 
Die Sünden der Revolution erschienen den harmlosen deutschen Zu— 
schauern kaum minder verführerisch als ihre Größe. Der an Plutarch's 
Heldengeschichten geschulte Geschmack begeisterte sich treuherzig für das 
gespreizte Catonenthum der neuen Freiheitsapostel, die unhistorischen Ab— 
stractionen ihrer Staatslehre entsprachen der philosophischen Selbstgefällig— 
keit des Zeitalters. Die schwärmerische Jugend, der noch die Kraftworte 
des Räubers Moor im Ohre klangen, fühlte sich hingerissen von dem 
rhetorischen Pathos der Franzosen, bewunderte arglos die republikanische 
Tugend der Girondisten — zur selben Zeit, da diese Partei in frevel— 
haftem Leichtsinn den Krieg gegen Deutschland anstiftete. Die romantische 
Verherrlichung des alten Kaiserthums, die während der letzten Jahre 
unter den schwäbischen Poeten in Schwung gekommen war, verstummte 
jetzt gänzlich. Der alte Barde Klopstock selber wendete seine Blicke von 
den cheruskischen Eichenhainen hinweg nach der neuen Hauptstadt der 
Welt, besang den hundertarmigen, hundertäugigen Riesen und rief: „Hätt' 
ich hundert Stimmen, ich feierte Galliens Freiheit nicht mit erreichendem 
Ton, sänge die göttliche schwach.“ Weltbürgerliche Freiheitsbegeisterung 
träumte von der Verbrüderung aller Völker, lärmte in Vers und Prosa 
gegen Tyrannen und Sklaven: „Ketten rasseln ihnen Silberton!“ In 
Hamburg und mehreren anderen Städten wurde am Jahrestage des 
Bastillesturmes das Fest der Brüderlichkeit gefeiert und der Freiheitsbaum 
aufgerichtet; der ganze Kreis, der sich um Klopstock schaarte — Hennings, 
der Herausgeber des Genius der Zeit, Frau Reimarus und die Stol— 
berge — schwelgten im Rausche des seligen Völkerglücks. Campe und 
die anderen Anhänger der neuen humanen Erziehungslehren sahen mit 
Freude, wie die überbildete Welt wieder zurückzukehren schien zu der Un— 
schuld ursprünglicher Menschheit. Für Oberdeutschland wurde Straßburg 
der Herd der revolutionären Ideen; dorthin wallfahrteten die jungen 
Brauseköpfe aus Schwaben um das neufränkische Evangelium kennen zu 
lernen. Bei den herkömmlichen Straßenaufläufen der Studenten ließen 
sich in Tübingen, Mainz und Jena zuweilen politische Rufe vernehmen; 
da und dort kam es zu wilden Raufhändeln mit den Emigranten, der 
Hochmuth und die Unzucht dieser Landesverräther schienen jede Gewalt— 
that der Revolution zu rechtfertigen. Selbst in Berlin sah man vor— 
nehme Frauen mit dreifarbigen Bändern geschmückt, und der Rector des 
Joachimsthaler Gymnasiums pries am Geburtstage des Königs in feier— 
licher Amtsrede die Herrlichkeit der Revolution, unter lebhaftem Beifall 
des Ministers Hertzberg. 
Unter den Führern der Nation wurde keiner von der großen Be— 
wegung des Nachbarlandes tiefer ergriffen als der alte Kant. Der war 
in seiner stillen Weise auch der politischen Gedankenarbeit des Zeitalters 
wachsam nachgegangen, namentlich mit Rousseau und Adam Smihh tief 
vertraut geworden und brachte nun den metaphysischen Freiheitskämpfen 
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