116 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
des Jahrhunderts den wissenschaftlichen Abschluß durch die großen Sätze:
in jedem Menschen sei die Würde des ganzen Geschlechts zu ehren, kein
Mensch dürfe bloß als ein Mittel benutzt werden. Was er also in ein-
samem Nachdenken gefunden, sah er jetzt verwirklicht durch die Thaten
der Franzosen, und da er in seinem heiteren Stillleben von den dämo-
nischen Kräften des keltischen Volksthums gar nichts ahnte, so ließ er sich
in der Bewunderung der Revolution auch durch die Gräuel der Schreckens-
herrschaft nicht stören, denn selbst die Blutmenschen der Guillotinc be-
riefen sich auf das Recht der Idee. In Kant's Schule ist der echte und
wahre Gehalt der Gedanken des Revolutionszeitalters am trenesten be-
wahrt worden.
Doch diese Begeisterung der deutschen gebildeten Welt für das re-
volutionäre Frankreich war und blieb rein theoretisch. Wie die Staats-
rechtslehrer von Göttingen und Halle in dem allgemeinen Theile ihrer
Vorlesungen aus der Idee heraus ein System des Vernunftrechts auf-
bauten um dann im besonderen Theile gleichmüthig das genaue Gegen-
theil des Vernunftstaats, das Labyrinth der deutschen Reichsverfassung
darzustellen, so legten sich auch die deutschen Bewunderer der Revolution
niemals die Frage vor, wie ihre Gedanken Fleisch und Blut gewinnen
sollten. Der Weise von Königsberg verwarf hart und unbedingt jedes
Recht des Widerstandes. Selbst Fichte, der radicalste seiner Schüler, der
noch in den Tagen Robespierre's die französische Freiheit zu vertheidigen
wagte, warnte eindringlich vor der Ausführung seiner eigenen Gedanken;
er sah keine Brücke zwischen „der ebenen Heerstraße des Naturrechts“
und „den finsteren Hohlwegen einer halbbarbarischen Politik“ und schloß
entsagend: „Würdigkeit zur Freiheit kann nur von unten herauf kommen,
die Befreiung kann ohne Unordnung nur von oben herunter kommen.“
So lange die Schläge der Revolution nur den Adel und die alte Kirche
trafen, hielt die theoretische Begeisterung der Deutschen Stand; man
glaubte arglos, daß die Jacobiner lediglich in gerechter Nothwehr eine
Rotte gefährlicher Verschwörer bekämpften, und „wer fiel hatte unrecht".
Aber als der Parteikampf immer wüster und roher dahinraste, als die
fanatische Gleichheitswuth sich vermaß selbst die letzte Aristokratie, die des
Lebens, zu vernichten, da vermochte der treue und schwere deutsche Sinn
den launischen Zuckungen der gallischen Leidenschaft nicht mehr zu folgen.
Der deutsche Schwärmer kehrte sich weinend ab von den Barbaren, die
ihm sein Heiligthum geschändet. Klopstock klagte: „Ach des goldenen
Traums Wonn' ist dahin.“ Man war erschreckt und entrüstet. Das
Gefühl kalter Verachtung, das die Gräuel der Schreckenszeit in einer
politisch reifen Nation erregen mußten, kam bei der deutschen Gutherzigkeit
nicht auf; sie bemerkte nicht, daß die Massenmorde des Wohlfahrtsaus-
schusses von einer winzigen Minderheit einem sklavisch gehorchenden Volke
auferlegt wurden. Die Enttäuschten sanken zurück in die alte politische