F. Gentz. 117
Gleichgiltigkeit und wandten ihre ganze Thatkraft wieder auf die Arbeit
der Kunst und Wissenschaft. Es war der großen Mehrzahl der Gebil—
deten aus der Seele gesprochen, wenn Goethe das Franzthum anklagte,
das heute, wie einst das Lutherthum, die ruhige Bildung störe, wenn
Schiller seine Horen mit den Worten ankündigte: der Dichter und Philo—
soph gehöre dem Leibe nach seiner Zeit an, weil er es müsse, dem Geiste
nach sei er der Zeitgenosse aller Zeiten.
Das bedeutendste literarische Werk, das in Deutschland durch die
Revolution veranlaßt wurde, kam aus dem gegnerischen Lager. Es konnte
nicht fehlen, daß die conservativen Kräfte zur Abwehr der revolutionären
Ideen sich zusammenschaarten. Unter den preußischen Offizieren erregte
vor Allem der Eidbruch der französischen Truppen tiefe Entrüstung; es
bildete sich ein royalistischer Verein, der seinen Genossen die Heiligkeit
des Fahneneides einschärfte. Brandes und Rehberg schrieben im Sinne
der alten Gesellschaft wohlmeinend und sachkundig, doch ohne Kraft und
Tiefsinn; Spittler beurtheilte Segen und Unsegen der gewaltigen Bewe-
gung mit der unparteiischen Sicherheit des Historikers. Der Scharfblict
des Hauptmanns Gneisenau fand schon im Jahre 1790 die Franzosen
reif zur Knechtschaft und sah voraus, daß eine Umwälzung ohne gleichen
die Grenzen aller Länder bedrohe. Länger währte es, bis Friedrich Gentz
über die Zeichen der Zeit in's Reine kam. Noch im April 1791 wollte
er Burke's Anklagen wider die Revolution nicht gelten lassen; anderthalb
Jahre später übersetzte er selber das Buch des Briten und fügte jene
köstlichen Abhandlungen hinzu, die einen Wendepunkt in der Geschichte
unserer politischen Bildung bezeichnen. Hier zuerst ward erkennbar, daß
die große Zeit unserer Literatur auch das politische Denken der Nation
zu verjüngen und zu läutern bestimmt war. Ein Jünger der neuen
Bildung, ausgerüstet mit dem Gedankenreichthum der Kantischen Philo-
sophie und dem reinen Formensinne der classischen Dichtung, bewährte
zum ersten male jene Kraft der productiven Kritik, welcher die Kunst und
Wissenschaft ein neues Leben dankten, nicht in abstracten naturrechtlichen
Speculationen, sondern in der Beurtheilung der lebendigen Thatsachen
der Zeitgeschichte; er verstand das Wirkliche zu sehen, in den unfertigen
Gebilden des Augenblicks schon die Umrisse zukünftiger Gestaltung zu
erkennen. Mit einer Macht und Fülle der Sprache, wie sie Deutschland
bisher nur an seinen Dichtern kannte, geißelte er die Thorheit, die in
Horden geht, und weissagte: „Frankreich wird von Form zu Form, von
Katastrophe zu Katastrophe schreiten.“ Wohl ließ sich bereits errathen,
daß die Charakterstärke dieses ersten Publicisten der Epoche seinem Talente
nicht entsprach; sein Haß gegen die Revolution war nicht frei von nervöser
Aengstlichkeit, er zitterte vor dem Uebermaße des Wissens, vor diesem
wilden Jahrhundert, das „anfängt des Zügels zu bedürfen“. Dennoch
hoben sich aus seiner Schrift scharf und klar die Grundgedanken einer