Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Erwartungen im Volke. 151 
Fürsten. Schon durch seine schlichten Sitten gewann er das Herz der 
Mittelklassen, und diese Schichten der Gesellschaft wurden mehr und mehr 
die Träger unserer öffentlichen Meinung. Die aufgeklärte Zeit fühlte sich 
praktisch wohl in einer ungebundenen Geselligkeit voll heiterer sinnlicher 
Lust, doch sie hegte eine lebhafte theoretische Begeisterung für die abstracte 
„Tugend“; der Ausdruck hatte noch nicht, wie heutzutage, den Nebensinn 
der philisterhaften Leere. Das preußische Volk hatte seit den Zeiten des 
großen Kurfürsten das Schauspiel ehelichen Glückes auf dem Throne nicht 
mehr gesehen: welcher Jubel nun unter diesen deutschen Familienmenschen, 
als der Thron sich in ein Heiligthum, der Hof sich in eine Familie ver- 
wandelte — so sang Novalis in ehrlicher Begeisterung. Die unbarm- 
herzige Strenge der beiden gewaltigen Könige des achtzehnten Jahrhunderts 
hatte die Massen in scheuer Ehrerbietung dem Throne ferngehalten; erst 
durch die heitere Herzensgüte der Königin Luise gewann das Verhältniß 
zwischen den Hohenzollern und ihrem treuen Volke jenen gemüthlichen 
Zug der Vertraulichkeit, der sich sonst nur in dem Stillleben der Klein- 
staaten zeigt. 
Die Preußen fühlten sich stolz als Royalisten, als Gegner der Revo- 
lution. Nicht bloß der Heißsporn des märkischen Junkerthums, der junge 
v. d. Marwitz, auch Andere vom Adel und Offizierscorps maßen den 
Gesandten der Republik, den Königsmörder Sieyes mit zornigen Blicken, 
als er mit ungepudertem Haar und der dreifarbigen Schärpe bei dem 
altväterischen Gepränge des Huldigungsfestes erschien. Die aufgeklärte 
Berliner Gesellschaft stand aber zugleich in bewußtem Gegensatze zu 
Oesterreich und dem heiligen Reiche. Man gab den Franzosen zu ver- 
stehen, der König sei Demokrat auf seine Weise, er werde mit Maß und 
Ordnung thun was jene im Sturm vollendet, und bald wollte man 
wissen, daß ein Jacobiner geklagt habe: „dieser Fürst verdirbt uns die 
Revolution.“ Als der junge König nun unter der zweideutigen Um- 
gebung seines Vaters mit Strenge aufräumte und in einigen wortreichen 
Cabinetsordres eine Fülle guter Vorsätze und menschenfreundlicher An- 
sichten aussprach, da rief Marcus Herz frohlockend: „die reine Vernunft 
ist vom Himmel niedergekommen und hat sich auf unserem Throne nieder- 
gelassen.“ Ein Verein von Berliner Schriftstellern veröffentlichte „Jahr- 
bücher der preußischen Monarchie“, welche das Walten des königlichen 
Reformators auf jedem Schritte begleiten sollten. Die hoffnungsvolle 
Stimmung währte noch lange. Als Hufeland im Jahre 1800 nach 
Berlin berufen wurde, schrieb er befriedigt: „ich gehe in einen liberalen, 
unter einer neuen Regierung neu aufblühenden Staat.“ Auch Schiller 
und Johannes Müller sprachen mit warmer Anerkennung von dem Ge- 
nusse grundsatzmäßiger Freiheit in Preußen und lobten, wie rasch Berlin 
zu einer Freistätte deutscher Art und Bildung werde. 
Der König mußte bald erfahren, wie beschränkt in Wahrheit seine
	        
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