Unfruchtbare Reformversuche. 153
Armee war fortan allein auf preußische Kräfte angewiesen; sollte sie die
dringend gebotene Verstärkung erhalten, so mußte mindestens ein Theil
der privilegirten Klassen zum Waffendienste herangezogen werden, und
dies war unmöglich, so lange das Offizierscorps wie eine geschlossene
Kaste in unnahbarer Höhe über der Mannschaft thronte, so lange jene
grausame alte Kriegszucht bestand, welche den philantropischen, bis zur
Weichlichkeit milden Anschauungen des Zeitalters in's Gesicht schlug. So-
bald der alte Stamm der geworbenen Ausländer ausstarb, war ein radi-
caler Umbau der Heeresverfassung unvermeidlich, das will sagen: eine
völlige Verschiebung aller gewohnten ständischen Verhältnisse, vor Allem
der Stellung des Adels in Staat und Gesellschaft.
Mannigfache Reformvorschläge tauchten auf. Einige freie Köpfe
unter den jüngeren Beamten, wie Hippel und Vincke, verlangten schon
die vollständige Durchführung des altpreußischen Gedankens der allge-
meinen Wehrpflicht; Knesebeck, Rüchel und andere Offiziere empfahlen
die Bildung einer Landmiliz. Aber einerseits sträubte sich der Dünkel
der alten Generale gegen alle Aenderungen. Jedermann glaubte noch
an die Unübertrefflichkeit des fridericianischen Heeres. Sogar Friedrich
Gentz, der zum Aergerniß der zahmen Zeit sich unterstand ein ermah-
nendes Sendschreiben an den neuen Monarchen zu richten, sagte über
das Heer kurzweg: „von dieser Seite bleibt uns nichts zu wünschen
übrig;" und Blücher, der Mann ohne Menschenfurcht, sprach noch im
Frühjahr 1806 unbedenklich von unserer unbesiegbaren Armee. Wenn
nun der hochmüthige alte Feldmarschall Möllendorff jeden Neuerungsvor-
schlag mit seinem schnarrenden „das ist vor mir zu hoch“" begrüßte, dann
wollte der König — er hat es später bitter bereut — nicht klüger sein
als die Grauköpfe von bewährtem Ruhme. Auf der andern Seite regte
sich in der aufgeklärten Welt eine doctrinäre Friedensseligkeit, die zu der
blutigen Staatspraxis des neuen Jahrhunderts einen lächerlichen Gegen-
satz bildete und gleichwohl bei der deutschen Gemüthlichkeit lebhaften An-
klang fand. Salbungsvolle Flugschriften erörterten schon die Frage: „sind
stehende Heere in Friedenszeiten nöthig?“" Es bezeichnet den inneren
Zerfall des gestrengen Absolutismus, daß solche Stimmen aus dem
Publikum jetzt einigen Eindruck machten, daß man anfing mit der öffent-
lichen Meinung zu rechnen. Am Hofe vertrat Mencken mit Eifer die
alte Ansicht des Beamtenthums, daß die Last der Heereskosten zu schwer
sei; auch der König wollte nur das Unerläßliche thun, da er vor Allem
die unter seinem Vater angesammelte Schuldenlast abzutragen wünschte.
Dazu endlich die verzweifelte Frage: wie aus den widerspänstigen Polen
zuverlässige Regimenter gebildet werden sollten?
So zwischen entgegengesetzten Erwägungen hin und her geschleudert
gelangte man nach unzähligen Bedenken und Vorschlägen zu keiner wesent-
lichen Reform. Das Heer wurde um ein Geringes, auf 250,000 Mann