172 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
nischen, in Wahrheit nur eine Verwaltungsordnung. Der in den Partei-
kämpfen des jüngsten Jahrzehntes völlig zerrüttete Handel und Wandel
erholte sich rasch, Dank der Rechtssicherheit und der freien Bewegung,
welche die neuen Gesetze den wirthschaftlichen Kräften gewährten. Doch
an dem anderen traurigen Vermächtniß der Revolution, an der geistigen
Verödung des französischen Lebens wollte und konnte der neue Herrscher
nichts ändern. Er rechnete nur mit dem gemeinen Ehrgeiz der Menschen;
alle Freiheit des Gedankens, alles selbständige Schaffen der Kunst und
Wissenschaft war ihm hohle Ideologie, halb lächerlich, halb furchtbar.
Also trat das seltsam zweischneidige System des Bonapartismus auf
die Bühne, an Selbstgefühl, Schlagfertigkeit und organisatorischer Kraft
vorderhand den verknöcherten Staaten der Nachbarlande noch weit über-
legen: ein Gebilde der Revolution, demokratisch von Grund aus, der
natürliche Gegner der historischen Staatsgewalten und Gesellschaftsformen
im alten Europa; aber auch despotisch von Grund aus, der geschworene
Feind aller Freiheit und nationalen Eigenart des Völkerlebens. Zunächst
mußte der Sieger des 18. Brumaire die Verluste des letzten Jahres
einbringen, den Besitzstand von Campo Formio wiederherstellen. Sein
genialer Versuch, die Seeherrschaft Englands durch einen Bund aller See-
mächte des Nordens und des Südens zu erschüttern, scheiterte gänzlich;
doch im Festlandskriege war ihm das Glück hold. Der theatralische Zug
über den St. Bernhard zeigte dem befriedigten Frankreich, daß Suworow's
Lorbeeren für französische Soldaten nicht unerreichbar seien. Der Sieg
von Marengo brachte die Herrschaft über Italien wieder in Bonaparte's
Hand; die Entlassung Thugut's ließ erkennen, daß die zähe Ausdauer des
Wiener Hofes zu erlahmen begann. Aber noch bedurfte es eines letzten
Schlages, der Schlacht von Hohenlinden, um das erschöpfte Oesterreich
zum Frieden zu bewegen. Am 9. Februar 1801 verkündete der Friede
von Luneville öffentlich und unzweideutig, was der Vertrag von Campo
Formio nur insgeheim und unklar bestimmt hatte: daß der Rhein fortan
Deutschlands Grenze sei. —
Ein Gebiet von 1150 Geviertmeilen und fast vier Millionen Ein-
wohnern war für Deutschland verloren, beinahe ein Siebentel von der
Bevölkerung des alten Reichs, das ohne Schlesien auf 28 Millionen
Köpfe geschätzt wurde. Mit unheimlichem Kaltsinn ließ die deutsche Nation
den furchtbaren Schlag über sich ergehen. Kaum ein Laut vaterländischen
Zornes ward vernommen, als Mainz und Köln, Aachen und Trier, die
weiten schönen Heimathlande unserer ältesten Geschichte, an den Fremden
kamen; und wie viele bittere Thränen hatte einst das verkümmerte Ge-
schlecht des dreißigjährigen Kriegs um das eine Straßburg vergossen!
Es war die Schuld der Krummstabsregierung, daß die linksrheinischen
Lande ihrem Volke so fremd geworden. An Friedrich's Siegen und Goethe's
Gedichten, an Allem, was dem neuen Deutschland das Leben erfüllte,