182 J. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
der Selbsttäuschung wußte die dreiste Gewissenlosigkeit des neuen Münchener
Hofes ihren Vortheil wahrzunehmen. Dort war soeben das Haus Pfalz-
Zweibrücken auf den Thron gelangt, den ihm Oesterreichs Habgier so oft
bestritten hatte. Der leitende Minister Graf Montgelas verkannte keinen
Augenblick, daß die junge Dynastie von der Hofburg Alles zu fürchten,
von Bonaparte Alles zu hoffen habe. Rasch entschlossen trat er bald nach
dem Frieden an die Spitze der französischen Partei in Deutschland und
empfing dafür die herablassende Zusicherung des ersten Consuls: Frank-
reichs Größe und Edelmuth wolle die früheren Schwankungen des bairischen
Hofes vergessen. Der serupellose Realist sah in Baierns Vorzeit nur eine
Geschichte der versäumten Gelegenheiten; jetzt endlich da die Welt aus den
Fugen ging galt es das Glück an der Locke zu fassen, dem Siegeszuge
des Welteroberers sich anzuschließen, durch treuen Vasallendienst und un-
ablässiges Feilschen so viel Beute zu erhaschen als des Herrschers Gnade
bewilligen mochte. Was irgend an das Reich, an den tausendjährigen
Verband der deutschen Nation erinnerte, erschien dieser Politik des folge-
rechten Particularismus lächerlich; alle Scham, alle Pietät, alles Rechts-
gefühl war ihr fremd. Begierig griff sie den Gedanken einer deutschen
Trias auf, der einst nach dem Hubertusburger Frieden zuerst hervor-
getreten und neuerdings wieder in Schwang gekommen war, als Preußen
die süddeutschen Kleinstaaten verließ, Oesterreich sie bedrohte. Der nassauische
Minister Gagern, ein wohlmeinender Reichspatriot, nach der dilettantischen
Weise der kleinstaatlichen Diplomaten immer rasch bei der Hand mit
leichtfertigen, unklaren Projecten, hatte schon zur Zeit des Vertrags von
Campo Formio dem keaiserlichen Hofe arglos die Bildung eines Bundes
der kleinen Höfe unter russischer Garantie angerathen; in gleichem Sinne
schrieb der ehrliche schwäbische Publicist Pahl eine Appellation an den
Luneviller Friedenscongreß. Wenn aber jetzt die Federn des pfalzbairischen
Lagers einen Sonderbund aller Mindermächtigen ohne Oesterreich und
Preußen empfahlen, so wollten sie nicht, wie jene redlichen Phantasten,
dem deutschen Süden die nationale Unabhängigkeit retten. Ihre Absicht
war: die Unterwerfung der Mittelstaaten unter Frankreichs Willkür, die
Vernichtung Deutschlands. Vorläufig, so lange man noch die österreichische
Partei zu bekämpfen hatte, blieb die Dynastie Zweibrücken mit ihrem alten
Beschützer Preußen in gutem Vernehmen. Bonaparte ließ sie gewähren;
er wußte, wie leicht diese Freundschaft zu trennen sei, lagen doch die
fränkischen Markgrafschaften des Königs von Preußen der bairischen Be-
gehrlichkeit dicht vor der Thür.
Während der schwersten Krisis, welche je den alten deutschen Staat
erschüttert hat, verscherzte sich Oesterreich jeden Einfluß durch eine starr-
sinnige Politik, die einen unhaltbaren Zustand zu retten suchte; der preu-
ßische Hof verkannte nicht die Nothwendigkeit des Umsturzes, doch er hatte
für den Neubau des Reichs nur unbestimmte, schwächliche Wünsche und