192 J. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
dem Particularismus zu gute gekommen, sondern der nationalen Einheit.
Er war nur ein mächtiger Schritt weiter auf dem Wege, welchen unsere
Geschichte seit drei Jahrhunderten eingeschlagen. Immer wieder hatte
seitdem eine unerbittliche Nothwendigkeit verlebte Kleinstaaten zerstört und
zu größeren Massen zusammengeballt; jetzt brachen ihrer abermals mehr
denn hundert zusammen. Aus solchen Erfahrungen mußte das deutsche
Volk früher oder später die Erkenntniß schöpfen, daß auch die neue Länder—
vertheilung nur eine vorläufige war, daß sein Geschick unaufhaltsam der
Vernichtung der Kleinstaaterei, dem nationalen Staate zustrebte. Die
Fürstenrevolution vernichtete für immer jenen Zauber historischer Ehr—
würdigkeit, der das heilige Reich so unantastbar erscheinen ließ. Das alte
Recht war gebrochen; die neuen Verhältnisse erweckten nirgends Ehrfurcht,
machten die willkürliche Unnatur der deutschen Zersplitterung jedem ge—
sunden Sinne fühlbar. Es war ein Widersinn, daß die Franken in Bam—
berg, die Schwaben in Memmingen sich nunmehr als Baiern, die Pfälzer
im Neckarthale sich als Badener fühlen sollten. Die tiefe Unwahrheit
dieses neuen künstlichen Particularismus hat nachher, als die Nation
endlich zu politischem Selbstgefühle erwachte, ihre freiesten und edelsten
Männer mit leidenschaftlichem Hasse erfüllt und sie dem Einheitsgedanken
zugeführt. Auch der gedankenlosen Masse ging manches gehässige parti—
cularistische Vorurtheil verloren, seit sie sich gewaltsam aus dem alten
Stillleben aufgestört sah. Wie Lombarden und Romagnolen in den neuen
italienischen Zufallsstaaten sich zusammenfanden, so wurden in den deutschen
Mittelstaaten Reichsstädter, Kurfürstliche und Bischöfliche gewaltsam durch—
einander gerüttelt und lernten den gehaßten und verhöhnten Nachbar
als treuen Landsmann schätzen. In Italien wie in Deutschland hat
die Willkür der Fremdherrschaft den alten naiven Glauben an die Ewigkeit
des Bestehenden mit den Wurzeln ausgerottet und also den Boden ge—
ebnet für neue Katastrophen, deren Ziele Bonaparte nicht ahnte.
Mit der Revolution von 1803 begann für Deutschland das neue
Jahrhundert, das in Frankreich schon vierzehn Jahre früher angebrochen
war. Das große neunzehnte Jahrhundert stieg herauf, das reichste der
neuen Geschichte; ihm ward beschieden, die Ernte einzuheimsen von den
Saaten des Zeitalters der Reformation, die kühnen Ideen und Ahnungen
jener gedankenschweren Epoche zu gestalten und im Völkerleben zu ver—
wirklichen. Erst in diesem neuen Jahrhundert sollten die letzten Spuren
mittelalterlicher Gesittung verschwinden und der Charakter der modernen
Cultur sich ausbilden, es sollte die Freiheit des Glaubens, des Denkens
und der wirthschaftlichen Arbeit, wovon Luther's Tage nur redeten, ein
gesichertes Besitzthum Westeuropas werden; es sollte das Werk des Colum—
bus sich vollenden und die transatlantische Welt mit den alten Cultur—
völkern zu der lebendigen Gemeinschaft welthistorischer Arbeit sich ver—
binden; und auch das Traumbild der Hutten und Macgchiavelli, die Einheit