194 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
gegen die neuen Gewalthaber, sogar die Klage um den Verlust der viel—
belobten alten Libertät erklang matt und schüchtern. Der reichspatriotische
Jurist Gaspari fand in seinem Herzeleide doch ein Wort gutmüthig deutscher
Dankbarkeit für die Reichsdeputation, weil sie durch ihre Pensionen „die
Unglücklichen wenigstens getröstet habe“; und selbst der conservative Bar—
thold Niebuhr wollte diese Todten nicht beweinen, die Nothwendigkeit dieses
Rechtsbruchs nicht bestreiten. Die Wenigen unter den gebildeten Welt—
bürgern Norddeutschlands, die sich noch zuweilen aus dem Himmel der
Ideen in die Niederungen der Politik hinabließen, begrüßten den Triumph
des Fürstenthums als einen Sieg der modernen Cultur; sie hofften, wie
der Erlanger Harl in seiner Schrift über Deutschlands neueste Staatsver—
änderungen sich ausdrückte, das schöne Morgenroth der Aufklärung werde
jetzt endlich die Finsterniß aus den geistlichen Landen verdrängen. Richtiger
als die meisten der Zeitgenossen urtheilte der junge Hegel über die Lage des
Reichs. Er sah in diesem Chaos „den gesetzten Widerspruch, daß ein
Staat sein soll und doch nicht ist“, und fand den letzten Grund des Elends
in der gepriesenen deutschen Freiheit. Aber sein Scharfsinn erscheint wie
die unheimliche Hellsichtigkeit eines hoffnungslos Erkrankten, kein Hauch
der Leidenschaft weht durch seine klugen Worte; darum ließ er auch, nachdem
das Problem wissenschaftlich erörtert war, seine Abhandlung ungedruckt
im Pulte liegen. Dem Uebermuthe der Berliner, der mit der Schwäche
ihres Staates zu wachsen schien, hatte die Fürstenrevolution noch nicht
genug gethan. In den kritiklustigen hauptstädtischen Kreisen, wo die Held
und Buchholz das große Wort führten, schalt man auf den König, weil
er nicht dreist genug zugegriffen habe; warum, so fragte der „Patrioten—
spiegel für die Deutschen“, hat Preußen nicht alles norddeutsche Land ver—
schlungen, „ohne viel Complimente und ohne sich an Schulmoral und so—
genannte Rechtsbegriffe zu kehren"“ Die große Mehrheit der Nation
kümmerte sich weder um solche frivole Prahlereien noch um den stillen
Jammer der Entthronten, sie verharrte in unverwüstlicher Gleichgiltigkeit.
Nur ein Mann wagte mit sittlichem Ernst und staatsmännischer
Einsicht über die Schmach des Vaterlandes öffentlich zu reden. Als der
Fürst von Nassau das alte reichsritterliche Haus vom Stein seiner Landes-
hoheit zu unterwerfen versuchte, da richtete Freiherr Karl vom Stein einen
offenen Brief an den kleinen Despoten, mahnte ihn in markigen Worten
an das richtende Gewissen und die strafende Gottheit und schloß: „sollen
die wohlthätigen großen Zwecke der Unabhängigkeit und Selbständigkeit
Deutschlands erreicht werden, so müssen die kleinen Staaten mit den
beiden großen Monarchien, von deren Existenz die Fortdauer des deutschen
Namens abhängt, vereinigt werden, und die Vorsehung gebe, daß ich
dieses glückliche Ereigniß erlebe.“" Durch diesen Brief wurde der Name
des westphälischen Kammerpräsidenten zuerst über Preußens Grenzen hinaus
bekannt; man verwunderte sich über seinen stolzen Freimuth, aber noch