Komische Dichtung. 203.
und im Tasso schilderte er die trotz aller Feinheit der Bildung doch
drückende Enge des Lebens an kleinen Höfen mit einer Bitterkeit, welche
nur aus selbsterlebter Pein stammen konnte.
Nicht bloß die natürliche Anlage des deutschen Geistes, der am Ge-
stalten der Charaktere mehr Freude findet als am Erfinden spannender
Situationen, sondern vor Allem die Verkümmerung unseres öffentlichen
Lebens hat es verschuldet, daß der Humor, der noch in unserem lebens-
frohen sechzehnten Jahrhundert so prächtige Funken schlug, in dieser Blüthe-
zeit deutscher Dichtung sich so selten zeigte. Das Lustspiel konnte dem
kühnen Aufschwunge der Tragödie nicht folgen. Die Komödie wurzelt
immer in der Gegenwart und blüht nur in Völkern, die unbefangen an
sich selber glauben, sich herzhaft wohl fühlen in der eigenen Haut; sie
bedarf fester nationaler Sitten und Anstandsbegriffe, wenn sie nicht will-
kürlich, gemeinverständlicher socialer Kämpfe und Interessen, wenn sie nicht
platt werden soll. Von Alledem waren in der langsam wieder auflebenden
deutschen Nation erst schwache Anfänge vorhanden. Der beliebteste Lust-
spieldichter der Zeit, Kotzebue, ein Talent von unverächtlicher komischer
Kraft, widerte edlere Naturen an nicht bloß durch die angeborene Gemein-
heit eines durchaus flachen Geistes, sondern mehr noch durch die Erbärm-
lichkeit der Verhältnisse, die er schilderte, und durch die Unsicherheit seines
sittlichen Gefühls, das zwischen weinerlicher Schwäche und schmunzelnder
Frechheit haltlos schwankte. Auch Jean Paul, der Einzige, der damals
mit hohen künstlerischen Absichten sich dem Dienste der komischen Muse
widmete, ward durch die zerfahrene Unfertigkeit des deutschen geselligen
Lebens zu Grunde gerichtet. Seine Gestalten bewegen sich bald in der
schweren Stickluft unfreier, armseliger Kleinstädterei, bald in dem dünnen
Aether idealer Bedürfnißlosigkeit, wo die Menschenbrust nicht mehr athmen
kann. Die Schwärmerei seiner warmherzigen Menschenliebe giebt ihm
doch keinen festen sittlichen Halt; nach Lust und Laune rüttelt er in fri-
volem Spiele an den ewigen Gesetzen der sittlichen Welt um nachher
wieder in verhimmelten Gefühlen zu schwelgen und seine Liebenden „im
kurzen seligen Elysium des ersten Kusses wohnen“ zu lassen. Das unsichere
Stilgefühl der Leser gestattet seinem Humor jede Willkür; ungescheut läßt
er der natürlichen Formlosigkeit des deutschen Geistes die Zügel schießen,
verrenkt die Sprache und überladet sie mit schwülstiger Künstelei.
Goethe's klaren Blicken entgingen die sittlichen Gefahren der ästhe-
tischen Weltanschauung nicht; warnend hat er der Ingend zugerufen:
„daß die Muse zu begleiten, doch zu leiten nicht versteht!“ Aber ein
reiches Geschlecht war es doch, das so zügellos dem Drange seines Herzens
nachging. Alle Schleußen des deutschen Genius schienen aufgezogen:
unsere Musik erlebte ihr classisches Zeitalter, in der Philologie schlug
F. A. Wolf, in den bildenden Künsten Asmus Carstens neue kühne
Bahnen ein. Selbst die gesellige Anmuth, die sonst deutscher Wahrhaf-