Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

16 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
Domcapiteln über drei Kurhüte und zahlreiche Fürstenstühle des Reichs 
verfügte, in den Diensten des adelsfreundlichen Erzhauses bequeme Ver- 
sorgung für seine Söhne fand. Auch die Landstände der weltlichen Fürsten- 
thümer riefen die Hilfe des Kaisers an, wenn sie ihre habenden Frei- 
heiten gegen das gemeine Recht der neuernden Monarchie vertheidigten. 
Der katholischen Mehrheit sicher schaute die Hofburg gemächlich zu, wie 
die Parteien im Reiche sich an einander zerrieben, das gegenseitige Miß- 
trauen jeden Gedanken der Reichsreform im Keime erstickte, jede dem 
Kaiserthum bedrohliche Macht durch andere Mächte darnieder gehalten 
wurde. Die überlieferte Ehrfurcht der kleinen Fürsten vor dem Erzhause, 
der Neid des Nachbars gegen den Nachbarn, der Einfluß der Beichtväter 
auf die zahlreichen fürstlichen Convertiten, endlich die reichen Gnaden und 
Privilegien, womit die Hofburg ihre Getreuen belohnte, sicherten dem 
Kaiserhause auch an den protestantischen Höfen jederzeit einen starken 
Anhang; mancher fürstliche Geheime Rath erhielt geradezu den Titel eines 
kaiserlichen Ministers und damit den Auftrag, die Sache Oesterreichs an 
seinem Hofe zu vertreten. Die Kaiserwürde, werthlos in der Hand eines 
kleinen Herrn, bot einer Großmacht mannigfache Handhaben, den hohen 
Adel deutscher Nation mittelbar zu beherrschen; und dieser mächtige Ein- 
fluß stand einem Fürstenhause zu, das weder gewillt noch im Stande 
war, sich den Gesetzen des Reichs, den Pflichten deutscher Politik zu fügen. 
Ein gewandter Parteigänger des kaiserlichen Hauses, der Freiherr von 
Gemmingen, schrieb in einem unbewachten Augenblicke ehrlicher Erregung 
kurzab: „Das Haus Oesterreich kann nur das Oberhaupt oder der Feind 
des deutschen Reiches sein.“ — 
Neben diesen Trümmern einer verfallenen, fremden Zwecken dienen- 
den monarchischen Gewalt enthielt die Reichsverfassung noch die Anfänge 
einer bündischen Ordnung: ein Vermächtniß jener großen Reformperiode 
des Reichs, da Berthold von Mainz, Friedrich von Sachsen, Eitelfritz 
von Zollern an der Spitze unseres Fürstenstandes den kühnen Versuch 
gewagt hatten, das deutsche Gemeinwesen in einen kräftigen Bundesstaat 
zu verwandeln. Von daher stammten die Kreisordnung und der von den 
Reichsständen besetzte Bundesgerichtshof, das Reichskammergericht. Aber 
wie der Kaiser die Wirksamkeit dieses ständischen Tribunals durch die con- 
currirende Gewalt seines monarchischen Reichshofraths beständig schwächte, 
so gelang es auch der Mehrzahl der größeren Reichsfürsten, ihre Gebiete 
der Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts zu entziehen. In Schwaben, 
Franken und am Rhein, wo ein Gewölk von Bischöfen und Reichsrittern, 
Fürsten und Reichsstädten, Aebten und Grafen in wunderlichem Gemenge 
durcheinander hauste, genügte das Ansehen der Kreisobersten und der 
Kreistage noch zuweilen um die polizeiliche Ordnung nothdürftig aufrecht 
zu halten und die winzigen Contingente der Reichsstände zu größeren 
Heerkörpern zu vereinigen. Im Norden und Osten hatte die Kreis-
	        
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