Föderalismus und Territorialismus. 17
ordnung niemals festen Boden gewonnen. Hier waren die geistlichen
Gebiete seit dem Westphälischen Frieden fast gänzlich vernichtet, die
mächtigen weltlichen Fürsten meinten sich selber zu genügen. Wie aus
einer hellen modernen Welt blickte der Norddeutsche hochmüthig hinüber
nach jenem bunten Gewirr der Kleinstaaterei im Südwesten, das er
spottend „das Reich" nannte. Was noch jung und stark war im alten
Deutschland, strebte aus den beengenden Formen der Reichsverfassung
hinaus.
Der Particularismus des weltlichen Fürstenthums blieb doch die
lebendigste politische Kraft im Reiche. Das heilige Reich war in der
That, wie Friedrich der Große es nannte, die erlauchte Republik deutscher
Fürsten. Seine Stände besaßen seit dem Westphälischen Frieden das
Recht der Bündnisse und die Landeshoheit in geistlichen wie in welt-
lichen Dingen, eine unabhängige Staatsgewalt, die nur noch des Namens
der Souveränität entbehrte. Sie trotzte der Reichsgewalt, wie das Leben
dem Tode trotzt. Keiner der auf den Trümmern der alten Stammes-
herzogthümer emporgewachsenen weltlichen Staaten umfaßte ein abgerun-
detes Gebiet, keiner einen selbständigen deutschen Stamm; sie dankten
allesammt ihr Dasein einer dynastischen Staatskunst, die durch Krieg und
Heirath, durch Kauf und Tausch, durch Verdienst und Verrath einzelne
Fetzen des zerrissenen Reiches zusammenzuraffen und festzuhalten verstand.
Diese Hauspolitik ergab sich nothwendig aus der Reichsverfassung selber.
Die Nation war mediatisirt, nur die Herrengeschlechter galten als Reichs-
unmittelbare; auf dem Reichstage waren nicht die Staaten, sondern die
Fürstenhäuser vertreten; das Glaubensbekenntniß des fürstlichen Hauses,
nicht des Volkes, entschied über die Frage, ob ein Reichsstand den Evan-
gelischen oder den Katholiken zuzuzählen sei; kurz, das Reichsrecht kannte
keine Staaten, sondern nur Land und Leute fürstlicher Häuser. Die
Wechselfälle einer wirrenreichen Geschichte hatten die Grenzen der Terri-
torien beharrlich durch einander geschoben, jede Achtung vor dem Besitz-
stande der Genossen, jeden eidgenössischen Rechtssinn im deutschen Fürsten-
stande ertödet. Begehrlich sah der Nachbar auf des Nachbars Land,
stets bereit mit fremder Hilfe den Landsmann zu überwältigen. Die
Ländergier und der Dynastenstolz der großen Fürstengeschlechter bedrohten
das Reich mit gänzlichem Zerfalle. Längst strebten Sachsen und Baiern
nach der Königskrone; Kurpfalz hoffte seine niederrheinischen Lande zu
einem Königreich bei Rhein zu erheben und also der Oberhoheit des
Reiches ledig zu werden.
Gleichwohl lag in dem Leben dieser weltlichen Fürstenthümer nahezu
Alles umschlossen, was noch deutsche Politik heißen konnte. Es bleibt
der historische Ruhm unseres hohen Adels, daß Deutschlands Fürsten die
der nationalen Monarchie entrissene Macht nicht wie die polnischen
Magnaten allein verwendeten, um die Pracht und den Glanz ihres
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. 1. 2