Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Scharnhorst. 289 
ster bewiesen, als er dort den Jesuitismus auf der Hochschule bekämpfte 
und an der erstarrten Universität ein neues Leben erweckte. — 
Hand in Hand mit der Verwaltungsreform ging die Neugestaltung des 
Heeres, ebenfalls unter Stein's persönlicher Theilnahme. Der König selbst 
gab den ersten Anstoß. Auf diesem seinem eigensten Gebiete behielt er 
immer die unmittelbare Leitung in der Hand, zeigte stets treffendes Ur— 
theil und eindringende Sachkenntniß. Schon im Juli 1807 berief er 
Scharnhorst zum Vorsitzenden einer Commission für die Reorganisation 
der Armee und legte ihr eine eigenhändige Denkschrift vor, worin er alle die 
wunden Stellen des Heerwesens mit sicherem Griffe heraushob, die Mittel 
der Heilung richtig angab. Zu Scharnhorst aber gesellte sich eine Schaar 
jüngerer Talente, die, wie er, der gesammten geistigen Arbeit der Zeit mit 
lebendigem Verständniß folgten, staatsmännische Köpfe, die das Heer als eine 
Schule des Volks, die Kriegskunde als einen Zweig der Politik betrachteten. 
Ihr stilles Wirken hat nicht nur die Waffen geschliffen für den Kampf 
der Befreiung, sondern auch die preußische Armee wieder in Einklang ge— 
bracht mit der neuen Cultur, dem deutschen Heerwesen für alle Zukunft 
den Charakter ernster Bildung, geistiger Frische und Rührigkeit aufgeprägt. 
Eine merkwürdige, instinctive Uebereinstimmung der sittlichen und poli— 
tischen Ueberzeugungen verband diese Offiziere von Haus aus mit dem leiten— 
den Staatsmanne. Klang es doch wie ein Bekenntniß aus Stein's eignem 
Munde, wenn Gneisenau, gegenüber den Menschenrechten der Franzosen, 
die Mäßigung anrief: „begeist're Du das menschliche Geschlecht für seine 
Pflicht zuerst, dann für sein Recht!“ Wie der Schüler Adam Smith's 
den Grundsatz der Arbeitstheilung nicht unbedingt auf die Staatsverwaltung 
anwenden wollte, sondern die Geschäftsgewandtheit des Berufsbeamten- 
thums geringer schätzte als die in der Selbstverwaltung bewährte Mündig- 
keit des Volks, so lebten auch diese militärischen Fachmänner des Glau- 
bens, daß im Kriege zuletzt die sittlichen Mächte entscheiden. Wie hoch sie 
den Werth der gründlichen technischen Ausbildung anschlugen, höher stand 
ihnen doch, nach Scharnhorst's Worten, die innige Verbindung der Armee 
mit der Nation. Auch ihnen, wie dem Minister, galt als der Eckstein aller 
Freiheit das alte deutsche: selbst ist der Mann! „Man muß“ — aoö schrieb 
Scharnhorst bald nach dem Frieden — „der Nation das Gefühl der 
Selbständigkeit einflößen, man muß ihr Gelegenheit geben, daß sie mit sich 
selbst bekannt wird, daß sie sich ihrer selbst annimmt; nur erst dann wird 
sie sich selbst achten und von Anderen Achtung zu erzwingen wissen. 
Darauf hinzuarbeiten, dies ist Alles was wir können. Die Bande des 
Vorurtheils lösen, die Wiedergeburt leiten, pflegen und in ihrem freien 
Wachsthum nicht hemmen, weiter reicht unser hoher Wirkungskreis nicht." 
Scharnhorst war längst der anerkannt erste Militärschriftsteller, der 
größte Gelehrte unter den deutschen Offizieren; aber auch ein seltener 
Reichthum praktischer Erfahrungen stand ihm nach einem wechselreichen 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. 1. 19
	        
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