Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

302 I. 3. Preußens Erhebung. 
verständliche Voraussetzung. Wenn Schenkendorf in begeisterten Versen 
vom Kaiser und vom Reiche predigte, wenn Heinrich Kleist die Deutschen 
beschwor, „voran den Kaiser“ in den heiligen Krieg zu ziehen, so nahmen 
auch sie stillschweigend an, daß Preußen unter diesem neuen Kaiserthum 
eine würdige Stelle behaupten müsse. Auf dem Turnplatze in der Hasen- 
haide, in den Kreisen von Jahn, Harnisch und Friesen, vernahm man sogar 
schon die zuversichtliche Weissagung: Preußen habe immerdar Deutschlands 
Schwert geführt und müsse in dem neuen Reiche die Krone tragen. Fichte 
dagegen wuchs erst nach und nach in diese preußischen Anschauungen hinein, 
gelangte erst im Frühjahr 1813 zu der Erkenntniß, daß allein der König 
von Preußen „der Zwingherr zur Deutschheit“ werden könne. Auch Arndt 
lernte erst durch Preußens Siege die Nothwendigkeit der fridericianischen 
Staatsbildung verstehen. Gemeinsam war aber allen jugendlichen Patrioten, 
auch den Preußen, der kindliche Glaube an ein unbestimmtes wunderbares 
Glück, das da kommen müsse wenn Deutschland nur erst wieder sich selber 
angehöre. Die ganze Macht überschwänglicher Gefühle, die sich in dem 
classischen Zeitalter unserer Dichtung angesammelt hatte, ergoß sich jetzt 
in das politische Leben. Niemals hatte die norddeutsche Jugend so stolz, 
so groß gedacht von sich selber und von der Zukunft ihres Volkes, wie jetzt 
da dies Land vernichtet schien; ihr war kein Zweifel, das ganze große 
Deutschland, das einträchtig wie eine andächtige Gemeinde den Worten 
seiner Dichter gelauscht hatte, mußte als eine geschlossene Macht wieder ein- 
treten in die Reihe der Völker. Doch nirgends ein Versuch zur Bildung 
einer politischen Partei mit klar begrenzten erreichbaren Zielen; nicht einmal 
ein Meinungskampf über die Frage, in welchen Formen sich das verjüngte 
Vaterland neu gestalten sollte. Aus der Fülle von Ahnungen und Hoff- 
nungen, welche die ungeduldigen Gemüther bewegte, trat nur ein einziger 
greifbarer politischer Plan hervor — und dieser eine freilich ward mit schwerem 
Ernst erfaßt — der Entschluß zum Kampfe gegen die Herrschaft der Fremden. 
Noch anderthalb Jahre nach dem Frieden blieb der Feind im Lande, 
und auch nachher, als die französischen Truppen Preußen endlich geräumt 
hatten, stand ganz Deutschland unter der scharfen Aufsicht der napoleoni- 
schen Spione. Alle französischen und rheinbündischen Diplomaten mußten 
Bericht erstatten über die Stimmung im Volke. Bignon in Stuttgart und 
der westphälische Gesandte Linden in Berlin trieben das unsaubere Gewerbe 
mit besonderem Eifer; Napoleon's Gesandter in Cassel, der geistreiche 
Schwabe Reinhard, ein Freund Goethe's, benutzte seine Verbindungen mit 
der deutschen literarischen Welt um den Imperator über jede Regung 
deutscher Gedanken zu unterrichten. Darum mußten die Patrioten, ganz 
wider die Neigung und Begabung der deutschen Natur, zu geheimen Ver- 
einen zusammentreten. Hardenberg selbst sagte in jener Rigaer Denk- 
schrift dem Könige, in solcher Zeit seien Geheimbünde unentbehrlich, und 
empfahl namentlich die Logen zur Verbreitung guter politischer Grund-
	        
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