Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Fichte. Arndt. Jahn. 307 
Fremden nichts anzufangen: sie ahnten nicht, wie unwiderstehlich gerade 
der überschwängliche Idealismus die Gemüther dieses philosophischen Ge- 
schlechts ergriff. Der Jugend ging das Herz auf bei der Lehre: sich der 
Gattung zu opfern sei der Triumph der Bildung, sei die Seligkeit des 
Ich. Die Zeit erlebte, wie Fichte mit philosophischer Herablassung sagte, 
„den seltenen Fall, wo Regierung und Wissenschaft übereinkommen“; sie 
fühlte, daß die Wiederaufrichtung des deutschen Staates mehr noch eine 
sittliche als eine politische Pflicht war; sie brauchte nichts dringender als 
jenen „festen und gewissen Geist“, den dieser Redner ihr zu erwecken suchte. 
Unwillkürlich gedachten die Hörer bei dem herrischen Wesen und der zermal- 
menden sittlichen Strenge des Philosophen an den Freiherrn vom Stein. 
In gleichem Sinne schrieb Arndt während und nach dem Kriege 
neue Bände seines Geistes der Zeit. Er zog zu Felde wider unsere 
Vielherrschaft, die zur Allknechtschaft geworden, wider die unpolitische 
Gerechtigkeit der Deutschen, die das Veraltete gewissenhaft verschonten 
bis die Fremden damit aufräumten, und vor Allem wider die übergeistige, 
überzärtliche Bildung, die da wähne, daß Kriegsruhm wenig, daß Tapfer- 
keit zu kühn, daß Mannlichkeit trotzig und Festigkeit beschwerlich sei. Frisch- 
auf zum Rhein — so lautete sein Schluß — und dann gerufen: Freiheit 
und Oesterreich! Franz unser Kaiser, nicht Bonaparte! 
In dem polternden Treiben des wunderlichen Recken Jahn zeigten sich 
schon einige der fratzenhaften Züge, welche das neue Deutschthum ver- 
unzierten: rauher und hochmüthiger Fremdenhaß, vorlaute Prahlerei, Ver- 
achtung aller Anmuth und feinen Sitte — ein formloses Wesen, das 
für unsere Jugend um so schädlicher werden mußte, da der Germane 
ohnehin geneigt ist Grobheit und Wahrhaftigkeit zu verwechseln. Es 
blieb ein krankhafter Zustand, daß die Söhne eines geistreichen Volkes 
einen lärmenden Barbaren als ihren Lehrer verehrten. Indeß war die 
Wirksamkeit des Alten im Bart während dieser ersten Jahre noch über- 
wiegend heilsam. Für den einen Gedanken, der damals noth that, für 
den Entschluß zum Kampfe, langte sein derber Bauernverstand aus; 
auch besaß er eine seltene Gabe die Jugend in Zucht zu nehmen, ihr 
einen ehrlichen Abscheu gegen alle Schlaffheit und Verzärtelung einzu- 
flößen. Die neue Turnkunst stählte nicht nur die Kraft des Leibes dem 
verwöhnten Geschlechte. Man bemerkte auch bald, wie die Sitten der 
Berliner Jugend reiner und mannhafter wurden seit im Jahre 1811 
der Turnplatz auf der Hasenhaide eröffnet war; und dies wog für jetzt 
schwerer, als die Verwirrung, die der Turnvater in manchem jungen 
Kopfe anrichtete, wenn er mit dröhnender Stimme in seinem neuerfun- 
denen Wortsturmschritt den Genossen sonderbare Runensprüche zurief. 
Sein Buch über das deutsche Volksthum brachte mitten in einem krausen 
Durcheinander schrullenhafter Einfälle manche lebendige Schilderung von 
der Kraft und Gesundheit altgermanischer Sitten. 
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