Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Kriegspläne von 1808. 325 
Hoffnungen nahe gerückt und gab seine diplomatische Zurückhaltung auf. 
Es stand zu erwarten, daß Napoleon sich entweder sogleich auf Oesterreich 
stürzen oder die große Armee aus Norddeutschland abrufen würde um 
zunächst den spanischen Aufstand zu bändigen. In beiden Fällen schien 
dem kühnen Patrioten eine plötzliche Erhebung der deutschen Mächte möglich. 
Seine edle Leidenschaft erhob sich zu verwegenen, unmöglichen Flügen: 
unter schwarzweißgelbem Bundesbanner, mit den Namen der Befreier der 
Nation, Herman und Wilhelm von Oranien auf den Fahnen — sollten 
die Truppen in's Feld ziehen. Und dies in einem Augenblicke, da die 
alte preußische Armee noch in der französischen Kriegsgefangenschaft weilte! 
Stein zählte auf die gesunde Kraft der Bauern und des Mittelstandes; 
von der „Weichlichkeit der oberen Stände und dem Miethlingsgeiste der 
öffentlichen Beamten“ hoffte er wenig. Um den Ehrgeiz der Nation zu 
entflammen wollte der ahnenstolze Freiherr sogar den alten Geburtsadel 
abschaffen und einen neuen Adel bilden aus Allen, die sich in diesem 
heiligen Krieg hervorthäten. Was Wunder, daß der tapfere Mann selbst 
manchem ehrlichen Patrioten in Königsberg wie ein Verzweifelter erschien, 
der sich mit dem Könige auf eine Pulvertonne setzen wollte! Die enge und 
harte Despotenseele des Kaisers Franz hatte keinen Sinn für so über- 
schwängliche Entwürfe, doch da Napoleon's Sprache gegen das Haus Loth- 
ringen von Tag zu Tag drohender und gereizter wurde, so ließ es die 
Hofburg geschehen, daß die preußische Kriegspartei unter der Hand mit öster- 
reichischen Diplomaten in Verbindung trat. In Teplitz fand sich ein Kreis 
österreichischer und norddeutscher Patrioten zusammen; die hannoverschen 
Diplomaten Hardenberg und Ompteda entfalteten eine emsige geheime Thä- 
tigkeit. Auf Befehl des Königs nahm der rastlose Graf Goetzen in Schlesien 
den geheimen Verkehr mit der Hofburg wieder auf, den er schon während 
des Krieges eingeleitet hatte. So gering das augenblickliche Ergebniß blieb, 
mit diesen vertraulichen Verhandlungen des Sommers 1808 begann doch 
die Wiederversöhnung der beiden Großmächte. Man erkannte mindestens, 
daß eine Verständigung möglich sei; die Gedanken des Bartensteiner Ver- 
trages gewannen einigen Boden. 
Der König stand mit seinem Herzen auf der Seite des Ministers, 
er nannte die Freunde Stein's und Scharnhorst's kurzweg die gute Partei; 
auch in seinen Augen war der Tilsiter Friede nur ein Waffenstillstand. 
Doch er verhehlte der Kriegspartei nicht, daß er nur im Bunde mit 
Rußland die Waffen wieder aufnehmen werde. Selbst der Tilsiter Treu- 
bruch beirrte ihn nicht in seinem Vertrauen zu dem Czaren, denn er 
wußte, wie wenig Alexander gemeint war für immer bei dem französischen 
Bündniß zu verbleiben. Seine alte Ansicht, daß allein noch eine Coalition 
des gesammten Europas der napoleonischen Uebermacht gewachsen sei, war 
durch die schrecklichen Erfahrungen der jüngsten Jahre nur befestigt wor- 
den. Die sittliche Größe der nationalen Monarchie, der Weitblick und
	        
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