28 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Beinen gleich dem Koloß von Rhodus stand er über den deutschen
Landen und stemmte seine Füße auf die bedrohten Marken am Rhein
und Memelstrom.
Eine Macht in solcher Lage konnte nicht mehr in dem engen Ge-
sichtskreise deutscher Territorialpolitik verharren; sie mußte versuchen ihre
weithin zerstreuten Gebiete zu einer haltbaren Masse abzurunden, sie war
gezwungen für das Reich zu handeln und zu schlagen, denn jeder Angriff
der Fremden auf deutschen Boden schnitt ihr in ihr eignes Fleisch. Und
dieser Staat, der nur deutsches Land beherrschte, stand doch der Reichs-
gewalt in glücklicher Unabhängigkeit gegenüber. Jenen Reichsständen,
deren Gebiete allesammt innerhalb der Reichsgrenzen lagen, war eine
selbständige europäische Politik immerhin erschwert; andere Fürstenge-
schlechter, die sich durch die Erwerbung ausländischer Kronen den hem-
menden Fesseln der Reichsverfassung entzogen, gingen dem deutschen Leben
verloren. Auch dem Hause Brandenburg sind oftmals lockende Rufe aus
der Ferne erklungen: die Herrschaft in Schweden, in Polen, in den Nieder-
landen, in England schien ihm offen zu stehen. Doch immer hat bald die
Macht der Umstände bald die verständige Selbstbeschränkung des Fürsten-
geschlechts diese gefährlichen Versuchungen abgewiesen. Eine segensreiche
Fügung, die dem ernsten Sinne nicht als Zufall gelten darf, nöthigte die
Hohenzollern in Deutschland zu verbleiben. Sie bedurften der fremden
Kronen nicht; denn sie dankten ihre unabhängige Stellung in der Staaten-
gesellschaft dem Besitze des Herzogthums Preußen, eines kerndeutschen
Landes, das mit allen Wurzeln seines Lebens an dem Mutterlande hing
und gleichwohl dem staatsrechtlichen Verbande des Reiches nicht angehörte.
Also mit dem einen Fuß im Reiche, mit dem andern draußen stehend, ge-
wann der preußische Staat das Recht, eine europäische Politik zu führen,
die nur deutsche Ziele verfolgen konnte. Er durfte für Deutschland sorgen,
ohne nach dem Reiche und seinen verrotteten Formen zu fragen.
Dem Historiker ist nicht gestattet, nach der Weise der Naturforscher
das Spätere aus dem Früheren einfach abzuleiten. Männer machen die
Geschichte. Die Gunst der Weltlage wird im Völkerleben wirksam erst
durch den bewußten Menschenwillen, der sie zu benutzen weiß. Noch
einmal stürzte der Staat der Hohenzollern von seiner kaum errungenen
Machtstellung herab; er trieb dem Untergange entgegen, solange Johann
Sigismund's Nachfolger Georg Wilhelm aus matten Augen schläfrig in
die Welt blickte. Auch dieser neue Versuch deutscher Staatenbildung
schien wieder in der Armseligkeit der Kleinstaaterei zu enden, wie vormals
die unter ungleich günstigeren Anzeichen aufgestiegenen Mächte der Welfen,
der Wettiner, der Pfälzer. Da trat als ein Fürst ohne Land, mit einem
Stecken und einer Schleuder Kurfürst Friedrich Wilhelm ein in das
verwüstete deutsche Leben, der größte deutsche Mann seiner Tage, und
beseelte die schlummernden Kräfte seines Staates mit der Macht des