Die Reformen vom Herbst 1810. 371
Jedermann, von Dienstboten, Pferden, Hunden und Wagen, angeordnet,
desgleichen eine Consumtionssteuer von etwa zehn der gangbarsten Ver—
zehrungsartikel, Fleisch, Mehl, Bier u. s. f, für die Städte wie für das
flache Land. Man beabsichtigte dadurch die alte Accise, welche die Städte
von den Dörfern absperrte, zu Falle zu bringen; doch namentlich die
Mahlsteuer begegnete bei dem Landvolke einem unbezwinglichen Wider-
stande. Die Bauern in Altpreußen hatten, seit Stein den Mühlen-
zwang aufgehoben, viele neue Windmühlen erbaut und sich an den Ge-
brauch der Handmühlen gewöhnt; sie beharrten störrisch bei ihrer neuen
Freiheit, es kam mehrfach zu Widersetzlichkeit und Aufruhr; die armen
Leute in Litthauen und Westpreußen aßen Teig statt des Brotes, um die
Mahlsteuer zu ersparen. Der Staatskanzler mußte bald einsehen, daß
er Unmögliches befohlen hatte. Am 30. October folgte die Secularisation
aller geistlichen Güter — ein nothwendiger Gewaltstreich, den der Gesetz-
geber rechtfertigte durch „den allgemeinen Zeitgeist", durch das Beispiel
der Nachbarstaaten und vornehmlich durch das Gebot der Gerechtigkeit,
da das Vermögen der getreuen Unterthanen nicht unbillig angespannt
werden dürfe. Die Maßregel wirkte wenig in den altprotestantischen
Provinzen, deren Kirchengut bis auf geringe Reste schon seit Jahrhunderten
eingezogen war. Um so tiefer griff sie in Schlesien ein, wo das Bis-
thum Breslau, das Kloster Grüssau und andere Stifter sich noch von
den österreichischen Zeiten her einen fürstlichen Reichthum bewahrt hatten.
Einen Theil der secularisirten Güter verwendete man für Unterrichts-
zwecke, namentlich für die Universität Breslau; was man verkaufte gab
geringen Ertrag, da das vermehrte Angebot die Güterpreise drückte und in
dem erschöpften Lande sich wenig Käufer fanden. Am 2. November end-
lich wurde eine allgemeine Gewerbesteuer nach französisch-westphälischem
Muster eingeführt: jeder unbescholtene Volljährige durfte sich gegen die
gesetzliche Gebühr einen Gewerbeschein lösen, nur für vierunddreißig Ge-
werbszweige sollte aus Rücksichten der öffentlichen Sicherheit noch ein Nach-
weis besonderer Befähigung verlangt werden. Es war der erste Anfang
der Gewerbefreiheit. Gleich darauf erschien die neue Gesindeordnung, ein
humanes Gesetz, das noch heutzutage den gänzlich veränderten Verhält-
nissen der dienenden Klassen im Wesentlichen entspricht, damals aber,
nachdem der harte Gesindezwang kaum erst aufgehoben war, als eine
radicale Neuerung von unerhörter Kühnheit erschien.
Dergestalt hatte die Hardenbergische Gesetzgebung zum ersten male ihr
Füllhorn geöffnet und neben einzelnen tauben Früchten auch einige Gaben
von bleibendem Werthe ausgeschüttet. So unsicher die Hand des Staats-
kanzlers in den finanziellen Angelegenheiten erschien, ebenso fest stand sein
Entschluß die bürgerliche Rechtsgleichheit und die Entfesselung aller wirth-
schaftlichen Kräfte bis in ihre letzten Folgerungen durchzusetzen. Stein's
schöpferische Ideen eilten der Zeit voraus, wurden nur von einem kleinen
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