Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

378 I. 3. Preußens Erhebung. 
Einlösung dieses Wortes. Darum erklärte der König'): „seine Absicht 
gehe noch immer dahin, der Nation eine zweckmäßig eingerichtete Reprä- 
sentation zu geben; da die dazu erforderlichen Vorbereitungen indessen 
noch Zeit erforderten, so sollten die für jene General-Commission bestimmten 
Abgeordneten auch vorerst die Nationalrepräsentation constituiren.“ Unter 
dem hochtönenden Namen einer interimistischen Nationalrepräsentation 
trat also am 10. April 1812 in Berlin eine zweite Notabelnversammlung 
von neununddreißig Mitgliedern zusammen. Diesmal räumte man der 
Nation ein Wahlrecht ein. Die achtzehn Ritter wurden von den Kreis- 
tagen, die zwölf Bürger und neun Bauern durch indirecte Wahl von den 
Städten und dem Rusticalstande erwählt; die Regierungspräsidenten soll- 
ten aber die Gewählten prüfen, ob sie einsichtsvolle, patriotische und „vor- 
urtheilsfreie“" Männer seien — ein deutlicher Wink für die Feudalparteil 
Das Bedeutsamste an diesem überaus zahmen Repräsentationsver- 
suche blieb, daß der neugeschaffene Bauernstand jetzt durch einige selbst- 
gewählte Vertreter an den Berathungen über Staatsangelegenheiten Theil 
nahm. Die märkischen Stände murrten auch diesmalj; sie beriefen sich 
auf das „allgemeine Mißtrauen“ des Landes gegen die neuen Stener- 
pläne'*) und setzten durch, daß wieder einige Nebendeputirte aus ihrer 
Mitte zugelassen wurden. Hardenberg erschien auch hier wieder als der 
Verfechter der neuen Staatseinheit. Er faßte die Stände im modernen 
Sinne als eine Interessenvertretung, er verlangte, der Repräsentant dürfe 
„keinen anderen Richter als sein Gewissen“ anerkennen: wer sich nach 
altständischer Weise an die Aufträge seiner Wähler gebunden glaube, müsse 
von den Berathungen ausgeschlossen werden.““) In den Provinzen versam- 
melten sich die „Wahldeputirten“, welche die Nationalrepräsentation gewählt 
hatten, häufig aus eigenem Antriebe — ganz regelmäßig in Oberschlesien#) 
— um öffentliche Angelegenheiten zu besprechen und mit ihren Repräsen- 
tanten in Berlin einen regen Verkehr zu unterhalten. Der Sinn für das 
politische Leben begann überall im Volke zu erwachen. In der National- 
repräsentation erklangen zuweilen Reden, welche an die Schlagwörter des 
Jahres 1789 erinnerten; einmal verlangte sie sogar in einer Adresse an 
den König das Recht zur Berathung aller neuen Gesetze zugezogen zu wer- 
den.) Gleichwohl blieb ihre Wirksamkeit sogar noch geringfügiger als die 
Thätigkeit der ersten Notabelnversammlung. Ihre häufig unterbrochenen 
Verhandlungen bewegten sich wesentlich um die Regulirung des Kriegs- 
schuldenwesens und brachten selbst diese Angelegenheit nicht in's Reine. 
Kamen andere Fragen zur Besprechung, so zeigte sich fast immer ein streng 
conservativer, den Reformen feindlicher Geist; der Staatskanzler mußte 
*) Cabinets-Ordre v. 6. Sept. 1811. 
*) Eingabe der neumärkischen Stände, 4. Dec. 1812. 
* V#) Instruction des Staatskanzlers an die Regierungen, 11. Febr. 1812. 
z gen, 
) Bericht der Regierung in Oppeln, 24. Oct. 1816. 
#) A. Stern, Abhandl. u. Aktenstücke z. Gesch. der preuß. Reformzeit, S. 190 f. 
 
	        
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