382 I. 3. Preußens Erhebung.
Umtriebe von Fichte, Schleiermacher und Schmalz beschwerten.) Indeß
die Ereignisse gingen schneller als Hardenberg's verständige Wünsche. Bald
nach dem Wiener Frieden ließ sich schon errathen, daß der Entscheidungs-
kampf zwischen den Tilsiter Verbündeten nahte; nicht urplötzlich wie die
meisten anderen Kriege dieser athemlosen Zeit, sondern schrittweise, zwei
Jahre zum Voraus erkennbar, rückte die neue Kriegsgefahr heran.
Der entscheidende Grund lag wieder in dem unzähmbaren Charakter
des Weltherrschers. Wie der Löwe nicht bloß aus Hunger mordet, son-
dern weil er nicht anders kann, weil es seine Natur ist zu rauben und
zu zerfleischen, so konnte dieser Allgewaltige nicht einen Augenblick bei
einem erreichten Erfolge sich beruhigen. In's Grenzenlose schweiften seine
begehrlichen Träume; noch war ihm nichts gelungen was der Märchen-
pracht des Alexanderzuges gleich kam. Kaum war mit Rußlands Hilfe
Oesterreich unterworfen, so sollte der Czar mit dem Beistand der Hofburg
gedemüthigt werden. Doch nicht bloß die verzehrende Gluth eines rasen-
den Ehrgeizes trieb den Imperator vorwärts, sondern auch eine unauf-
haltsame politische Nothwendigkeit; sein Weltreich konnte nicht bestehen
wenn er nicht über alle Küsten Europas unbedingt gebot. Leidenschaft-
licher denn je betrieb er jetzt den Handelskrieg gegen das unangreifbare
England; durch das Edict von Trianon hoffte er die Sperrung des Con-
tinents zu vollenden. Als er die Nordseeküste mit dem Kaiserreiche ver-
einigte, erklärte er den Abgeordneten der Hansestädte kurzab: die Edicte
über die Continentalsperre sind die Grundgesetze meines Reiches! Auf der
spanischen Halbinsel wogte der gräuelvolle Krieg in's Unabsehbare dahin
aus den radicalen Beschlüssen der Cortes von Cadiz sprach die verzweifelte
Entschlossenheit eines heldenhaften Volkes. Zwingende politische Gründe
mahnten den Imperator zunächst diese offene Wunde zu schließen; er aber
wollte und konnte die ungeheure Macht der nationalen Leidenschaft nicht
würdigen. War erst Rußland gebändigt und die englische Flagge von allen
Häfen des Festlands ausgeschlossen, standen die französischen Zollwächter erst
in Petersburg, dann mußte der spanische Aufstand wie Schnee zerschmelzen
vor der Sonne des Kaiserthums. Und schon brütete der Unersättliche über
noch kühneren, noch wunderbareren Plänen: nach dem Falle von Moskau
sollte von den Ufern der Wolga aus ein neuer Kriegszug, die Wunder
Alexander's überbietend, beginnen, ein Zug zum Ganges, der „dies Schau-
gerüste der englischen Handelsgröße"“ für immer vernichten mußte.
Der Czar konnte sich die Gefahren des Tilsiter Bündnisses nicht
länger mehr verbergen. Ganz Rußland vernahm mit Unmuth, wie
Napoleon das von den Russen eroberte österreichische Polen großentheils
an Warschau verschenkte ohne den Verbündeten auch nur zu befragen.
Man kannte in Petersburg den geheimen Verkehr zwischen dem polnischen
Adel und den Tuilerien, der durch Napoleon's polnische Flügeladjutanten
*) Hardenberg's Tagebuch 6. Nov. 1811.