388 I. 3. Preußens Erhebung.
standen 75,000 Mann bereit. Die kommandirenden Generale in den
Provinzen erhielten außerordentliche Vollmachten um auf ein gegebenes
Zeichen sofort loszuschlagen! Berlin war von Truppen fast ganz ent-
blößt, von allen Seiten her zogen die Regimenter nach dem festen Lager
bei Kolberg, wo Blücher befehligte: dort und in Spandau sollte der Volks-
krieg seinen Stützpunkt finden. Gneisenau jubelte: die Welt soll erstaunen
über unsere Kräfte! Wer den Hochherzigen in jenen Tagen sah vergaß
ihn nie mehr: ein Lichtstrom der Begeisterung schien von ihm auszu-
strahlen. Seine Freunde dachten ihm den Oberbefehl in Schlesien, wo
er jeden Busch und jeden Weg kannte, anzuvertrauen, und Clausewitz
begrüßte ihn bereits in prophetischer Ahnung als den Marschall von
Schlesien. Alle Gluth und allen Adel seiner Seele hatte er in diesen
Kriegsplänen niedergelegt; sein ganzes Wesen war im Aufruhr, als er
sie dem Könige übergab mit einer poetischen Mahnung:
Trau' dem Glücke, trau' den Göttern,
Steig' trotz Wogendrang und Wettern
Kühn wie Caesar in den Kahn!
Und doch waren diese heldenkühnen Pläne nichts als eine edle Ver-
irrung. Gneisenau selber sprach sich sein Urtheil, wenn er bekannte, er
habe nur noch den Muth des Curtius. Ein ruhmvoller Untergang, ein
Untergang ohne jede absehbare Möglichkeit der Wiederauferstehung war
Preußens sicheres Loos, wenn man sich also kopfüber in den Kampf
stürzte. Noch bevor der Volkskrieg recht in Zug kam, mußte Napoleon,
der seine Augen überall hatte, das Land schon mit seinen Heersäulen
überschwemmt haben, und wo bot diese offene bebaute Ebene einen An-
halt für einen spanischen Guerillaskrieg? Es wurde die Rettung der
Monarchie, daß Friedrich Wilhelm auch in dieser schweren Versuchung
seine höchste Königspflicht nicht aus den Augen verlor und das Dasein
des Staates nicht einer Aufwallung heroischer Gefühle opfern wollte. Er
prüfte die Pläne nach seiner tiefen, gründlichen Weise und warf schon
jetzt in seinen Randbemerkungen einige gute Gedanken hin, welche zwei
Jahre später in's Leben treten sollten; so den ersten Entwurf für den
Orden des eisernen Kreuzes. Vieles sah er allzu trübe; solchen Männern
gegenüber fragte er kleinmüthig, wo denn die Heerführer seien für einen
Volkskrieg? Aber die Stärke Napoleon's, die Schwäche des russischen
Heeres schätzte er richtiger als die Generale, und seine an den geordneten
Heeresdienst gewöhnten Märker kannte er zu gut um sich viel von einer
regellosen Volksbewegung zu versprechen. „Als Poesie gut“ hieß es in
den Randglossen und wieder: „wenn ein Prediger erschossen ist, hat die
Sache ein Ende.“ Der König war längst auf das Aergste gefaßt: seine
Wagen standen wochenlang reisefertig im Schloßhofe um den Monarchen
bei der ersten verdächtigen Bewegung der nahen Franzosen nach Königs-
berg zu bringen. Wiederholt schrieb er an Alexander, wie gern er bereit