Umschwung der preußischen Politik. 401
greifbare Versprechungen gab er jedoch nicht. Als nun der Krieg sich in
die Länge zog, da begann der König zu hoffen, daß sein russischer Freund
diesmal endlich ausharren würde; schon am 29. October, noch ehe die
Nachricht von dem Moskauer Brande eingetroffen war, erklärte er sich
bereit zu einem Wechsel des politischen Systems, aber nur im Bunde mit
Oesterreich. Neue vertrauliche Anfragen in Wien hatten geringen Erfolg.
Die Hofburg behauptete noch die gleiche Haltung wie in der Krisis von
1811: sie hatte nichts dawider, wenn Preußen sein Glück versuchte, wollte
aber selber aus ihrer so viel besser gesicherten Position nicht heraustreten.
Gewaltigen Eindruck hinterließ in Berlin wie überall die unglaubliche
Nachricht von der Verschwörung des Generals Mallet: wie dieser Toll—
kopf durch das Märchen von Napoleon's Tode die höchsten Behörden
überrumpelt und während einiger Stunden Paris beherrscht hatte. So
morsch war schon der Grund, worauf das Weltreich fußte! Dann kam
die Kunde von Napoleon's Rückkehr, bald darauf (16. Dec.) aus Dresden
ein Schreiben des Flüchtlings an den König, das unbefangen, als sei gar
kein Zweifel möglich, die Verstärkung des preußischen Hilfscorps verlangte:
kein Wort von Entschädigung, kein Wort über die Bezahlung der preu—
ßischen Lieferungen vom letzten Frühjahr! Der Imperator meinte Preu—
ßen genugsam gefesselt und versah sich keiner Weigerung. In der That
überschätzte Hardenberg die Bedeutung der russischen Katastrophe nicht.
Er begriff, daß Napoleon's unritterliche Flucht politisch ebenso wohl erwogen
war wie einst sein heimlicher Abzug aus Aegypten; er wußte, was dieser
eine Mann bedeutete und sah voraus, daß der Imperator in Kurzem mit
einem gewaltigen Heere zurückkehren würde.
Der sofortige offene Abfall war unmöglich, nicht bloß weil die Ge—
wissenhaftigkeit des Königs selbst einen erzwungenen Bund nicht ohne stich—
haltige völkerrechtliche Gründe auflösen wollte, sondern auch weil die fran—
zösischen Streitkräfte in den Marken vollauf genügten eine plötzliche Er—
hebung im Keime zu ersticken. Dagegen waren alle tüchtigen Männer am
Hofe darüber einig, daß die Gunst des Glücks benutzt, der Anschluß an
Rußland und Oesterreich sofort vorbereitet werden müsse. Der bedächtige
conservative Cabinetsrath Albrecht erklärte schon am 17. Dec. in einer
Denkschrift, welche der Monarch vollständig billigte: jetzt oder niemals
müsse durch die Erhebung der drei Ostmächte das unerträgliche fremde
Joch abgeschüttelt werden, wenn man nicht „für die gegenwärtige Gene—
ration, vielleicht für immer, auf Selbständigkeit verzichten“ wolle. Auch
Knesebeck, der Mann des Friedens, mahnte jetzt hochpathetisch: „Es ist
Zeit!“*) und selbst der schroffe Junker Marwitz eilte ungeladen zu seinem
Todfeinde Hardenberg, stellte sich ihm zur Verfügung.
*) Albrecht's Denkschrift, 17. Dec. Knesebeck's Denkschrift „Es ist Zeit,“ 23. Dec.
König Friedrich Wilhelm an Hardenberg, 25. Dec. 1812.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 26