Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

408 I. 4. Der Befreiungskrieg. 
und Finnland, dieses in den französisch-holländischen Colonien; auch Oester- 
reich war trotz schwerer Verluste doch noch im Besitze seiner Großmacht- 
stellung. Mißlang das Werk der Befreiung, so stand für England gar 
nichts, für Rußland und Oesterreich nur ein Gebietsverlust zu befürchten. 
Für den Fall des Sieges aber mußte England durch transatlantische Ge- 
biete, Rußland durch polnische Landstriche, Oesterreich durch die Wieder- 
herstellung und Vergrößerung seiner adriatischen Machtstellung entschädigt 
werden. Das lag in der Natur der Dinge, die gesammte diplomatische 
Welt war darüber einverstanden, und alle drei Mächte durften, Dank ihrer 
geographischen Stellung darauf zählen, daß ihnen Niemand diesen Sieges- 
preis entriß falls das Weltreich unterging. Für Preußen dagegen war 
dieser Krieg ein Kampf um Sein oder Nichtsein. Siegte Napoleon, so 
wurden die in Tilsit nur vertagten Vernichtungspläne unfehlbar durch- 
geführt. Siegte der preußische Staat, so war er gezwungen einen unver- 
hältnißmäßig größeren Lohn zu fordern als seine Verbündeten; er mußte 
die verlorene Hälfte seines Gebietes und den Wiedereintritt in die Reihe 
der großen Mächte verlangen. Der Kampf um die Befreiung der Welt 
blieb doch in erster Linie ein Kampf um die Wiederaufrichtung Preußens. 
Seine entscheidenden Schlachten, das ließ sich voraussehen, mußten auf 
preußischem Boden geschlagen werden oder in jenen norddeutschen Landen, 
die zu Preußens Entschädigung dienen sollten; jede Scholle deutschen 
Landes, die der König für sich forderte, war erst durch gemeinsame An- 
strengung zu erwerben, unterlag von Rechtswegen der Verfügung der Coa- 
lition. Der preußische Staat stand mithin in der denkbar ungünstigsten 
diplomatischen Stellung, in einer Lage, deren Nachtheile weder der Muth 
des Heeres noch die Gewandtheit der Staatsmänner ganz ausgleichen 
konnte; er hatte den Preis seiner Anstrengungen großentheils zu erwarten 
von dem guten Willen jener Höfe, die nach ihren Interessen und Ueber- 
lieferungen die Befestigung einer starken mitteleuropäischen Macht nicht 
wünschen konnten. 
Doch was wogen solche Bedenken in diesem Augenblicke, da Deutsch- 
lands Zukunft auf dem Spiele stand? Schritt für Schritt, mit bewun- 
derungswürdiger Umsicht näherte sich Hardenberg seinem zweifachen Ziele: 
der Verstärkung des Heeres und dem Abschluß der großen Allianz. Auf allen 
Landstraßen sah man die Schaaren der Krümper zu ihren Regimentern 
ziehen; die treuen Männer ahnten dunkel wem die Rüstung gelte. Den 
französischen Truppen ward beklommen zu Muthe wenn sie diesen sonder- 
baren Bundesgenossen auf dem Marsche begegneten; sie bemerkten wohl 
die grimmigen Blicke der Preußen und vernahmen die herausfordernden 
Klänge der deutschen Kriegslieder. Die Aufregung stieg von Tag zu 
Tage. Im Schloßhofe zu Königsberg wurde ein anmaßender französischer 
Gensdarm unter den Augen des Königs von Neapel von preußischen 
Rekruten todtgeschlagen; zwei französische Offiziere, die sich einmischen
	        
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