32 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
des deutschen Reiches, mit allen Mitteln rücksichtsloser Selbstsucht, immer
bereit die Front zu wechseln, immer mit zwei Sehnen am Bogen.
Kurbrandenburg empfand bis in das Mark seines Lebens, wie tief
das ausländische Wesen sich in Deutschland eingefressen hatte. Alle die
zuchtlosen Kräfte ständischer Libertät, welche der strengen Ordnung der
neuen Monarchie widerstrebten, stützten sich auf fremden Beistand. Hol-
ländische Garnisonen lagen am Niederrhein und begünstigten den Kampf
der clevischen Stände wider den deutschen Landesherrn, die Landtage von
Magdeburg und der Kurmark rechneten auf Oesterreich, der polenzende
Adel in Königsberg rief den polnischen Oberlehnsherrn zu Hilfe gegen
den märkischen Despotismus. Im Kampfe mit der Fremdherrschaft wurde
die Staatseinheit dieser zerstreuten Gebiete und das Ansehen ihres Landes-
herrn begründet. Friedrich Wilhelm zerstörte die Barriere der Nieder-
länder im deutschen Nordwesten, vertrieb ihre Truppen aus Cleve und
Ostfriesland; er befreite Altpreußen von der polnischen Lehenshoheit und
beugte den Königsberger Landtag unter seine Souveränität. Dann ruft
er der tauben Nation sein Mahnwort zu: „Gedenke, daß du ein Deutscher
bist!“ und versucht die Schweden vom Reichsboden zu verdrängen. Zwei-
mal gelang der Mißgunst Frankreichs und Oesterreichs, den Branden-
burger um den Lohn seiner Siege, um die Herrschaft in Pommern zu
betrügen; den Ruhm des Tages von Fehrbellin konnten sie ihm nicht
rauben. Endlich wieder, nach langen Jahrzehnten der Schande, ein
glänzender Triumph deutscher Waffen über die erste Kriegsmacht der
Zeit; die Welt erfuhr, daß Deutschland wieder wage sein Hausrecht zu
wahren. Der Erbe der deutschen Kirchenpolitik Gustav Adolf's zersprengte
den verwegenen Bau des skandinavischen Ostseereiches, den das Schwert
jenes Schwedenkönigs zusammengefügt. Die beiden künstlichen Groß-
mächte des siebzehnten Jahrhunderts, Schweden und Holland, begannen
zurückzutreten in ihre natürlichen Schranken, und der neue Staat, der
sich an ihrer Stelle erhob, zeigte weder die ausschweisende Eroberungs-
lust der schwedischen Militärmacht noch den monopolsüchtigen Kaufmanns-
geist der Niederländer. Er war deutsch, er begnügte sich das Gebiet
seiner Nation zu schirmen und vertrat gegen die Weltherrschaftspläne der
Bourbonen den Gedanken des europäischen Gleichgewichts, der Staaten-
freiheit. Als die Republik der Niederlande dem Angriff Ludwig's XIV.
zu erliegen drohte, da fiel Brandenburg dem Eroberer in den erhobenen
Arm; Friedrich Wilhelm führte den einzigen ernsthaften Krieg, den das
Reich zur Wiedereroberung des Elsasses gewagt hat, und noch auf seinem
Sterbebette entwarf er mit seinem oranischen Neffen den Plan, das
evangelische und parlamentarische England zu retten vor der Willkür der
Stuarts, der Vasallen Ludwig's. Ueberall wo diese junge Macht allein
stand kämpfte sie siegreich, überall unglücklich wo sie dem Wirrwarr des
Reichsheeres sich anschließen mußte.