Vertrag von Kalisch. 425
der Personen können temporell dies etwas mäßigen, aber nie heben.“ Be—
harrlich kam Knesebeck auf diesen Lieblingsgedanken zurück; er überschätzte,
wie fast alle seine Zeitgenossen die Aggressivkraft des „russischen Kolosses“.
Mit überschwänglichem Entzücken pries er „die Schriftzüge der Natur, die
auch hier mit mütterlicher Hand für den Schutz ihrer Kinder sorgte“ und
dem preußischen Staate in den Morästen des Narew seine natürliche
Grenze vorgezeichnet hat. Zudem hegte der Oberst ein tiefes Mißtrauen
gegen Alexander. So hoffnungsvoll er in die geliebte Hofburg gezogen
war, ebenso argwöhnisch trat er dem Czaren entgegen und hielt sich ver—
pflichtet den diplomatischen Fehler vom Jahre 1806 zu vermeiden: nicht
zum zweiten male sollte Preußen ein russisches Bündniß abschließen ohne
den Freund bindend verpflichtet zu haben. Die Verhandlungen zwischen
dem Kaiser und dem hypochondrischen, peinlich bedachtsamen, maßlos eitlen
Manne rückten nicht von der Stelle. Vergebens mahnte Hardenberg:
eilen Sie, und nochmals, eilen Sie!“) Während die freiwilligen Jäger
bereits zu den Fahnen strömten und die ostpreußische Landwehr sich ver—
sammelte, drohte das kühne Werk der Befreiung Deutschlands noch vor
dem Beginne zu scheitern — weil Knesebeck am Bug und Narew die
Schriftzüge der mütterlichen Natur entdeckt hatte.
Die Lage war um so ernster, da im russischen Hauptquartiere außer
dem Czaren fast Niemand den deutschen Krieg ernstlich wollte. Die russi—
schen Generale, vor Allen der beschränkte alte Kutusow, schwelgten in
übermüthigem Selbstgefühl; sie schrieben die großen Erfolge, die man zu—
meist den Fehlern Napoleon's verdankte, allein der Ueberlegenheit der russi—
schen Waffen zu und hielten den Krieg für beendet. Vor einem neuen
Angriffe des gedemüthigten Frankreichs glaubte man sicher zu sein; War—
schau und vielleicht auch Altpreußen mußten dem russischen Sieger von
selbst zufallen. Ging der preußische Hof dem Czaren nicht um einige
Schritte entgegen, so kam das Bündniß nicht zu Stande, und Deutsch—
lands Hoffnungen fielen nochmals zu Boden.
Endlich verlor Alexander die Geduld und sendete den Elsasser Frei—
herrn von Anstett, einen seiner rührigsten Diplomaten, nach Breslau um
mit dem Könige selbst zu verhandeln. Mit Anstett kam auch Stein. Der
Czar rechnete auf das richtige Gefühl seines Freundes, und die Hoffnung
trog nicht. Auch Hardenberg fand es thöricht, über das Fell des noch
nicht erlegten Bären allzu heftig zu streiten. Die Generale vollends ver—
langten raschen Abschluß; Scharnhorst sagte zu Hippel in seiner großen
Weise: „unsere Aufgabe ist den Sieg zu sichern, über die Vertheilung der
Beute wird der Friedenscongreß entscheiden.“ Der König nahm die Vor—
schläge Alexander's ohne jede Aenderung an; Scharnhorst ging mit dem
günstigen Bescheide nach Kalisch, und am 28. Februar kam der Bundes—
*) Hardenberg an Knesebeck, 20. 21. Febr. 1813.