438 I. 4. Der Befreiungskrieg.
hier ist Germanien mit Waffen so gut wie mit Gedanken gerüstet!“ Die
diesen Kampf mit Bewußtsein führten, fühlten sich auserwählt durch Gottes
Gnade, das Reich der Arglist und der ideenlosen Gewalt zu zerstören,
einen dauerhaften Frieden zu begründen, der allen Völkern wieder erlauben
sollte nach ihrer eigenen Art, in schönem Wetteifer sich selber auszuleben.
Der deutsche Krieg galt der Rettung der alten nationalen Formen der
abendländischen Cultur, und als er siegreich zu Ende ging, sagte der
Franzose Benjamin Constant; „die Preußen haben das menschliche An-
gesicht wieder zu Ehren gebracht!“"
Ueber die künftige Verfassung des befreiten Deutschlands hatte dies
kindlich treuherzige Geschlecht freilich noch nicht nachgedacht. War nur
erst Alles was in deutscher Zunge sprach wieder beisammen, so konnte es
ja gar nicht fehlen, daß ein starkes, einiges, volksthümlich freies Reich
sich wieder erhob. Nach den Mitteln und Wegen fragte Niemand, jeder
Zweifler wäre des Kleinmuths bezichtigt worden, der Krieg, allein der
Krieg nahm Aller Gedanken in Anspruch. Außer jenen rohen Schmäh-
schriften wider den Feind, welche in keinem schweren Kriege fehlen, er-
schienen in diesem Frühjahr nur solche politische Schriften, die unmittelbar
auf die Erregung der Kampflust berechnet waren: so Arndt's köstliche Büch-
lein und Pfuel's Erzählung von dem Rückzuge der Franzosen aus Ruß-
land, die erste getreue Darstellung der großen Katastrophe, ein kleines Buch
von mächtiger Wirkung. Auch die einzige norddeutsche Zeitung, welche
eine bestimmte politische Richtung verfolgte, Niebuhr's Preußischer Corre-
spondent, befaßte sich nicht näher mit den großen Fragen der deutschen
Zukunft.
Nur Fichte wollte und mußte sich Klarheit verschaffen. In der frohen
Erregung dieser hoffnungsreichen Tage war dem Philosophen die Majestät
des Staatsgedankens aufgegangen. Er erkannte dankbar, daß die Wieder-
geburt des alten Deutschlands doch früher erfolgte, als er einst in seinen
Reden angenommen, sah mit Freuden seine Hörer allesammt zum Kampfe
ziehen, trat selber mit Säbel und Pike in die Reihen des Berliner Land-
sturms. Und da er nun mit Händen griff, welche Opfer eine geliebte
und geachtete Staatsgewalt ihrem Volke zumuthen darf, lernte er größer
denken von dem Wesen der politischen Gemeinschaft und schilderte in seiner
Staatslehre den Staat als den Erzieher des Menschengeschlechts zur Frei-
heit: ihm sei auferlegt die sittliche Aufgabe auf Erden zu verwirklichen.
Dann verkündete er kurz vor seinem Tode, in dem „Fragmente einer
politischen Schrift“, zum ersten male mit voller Bestimmtheit die Mei-
nung, daß allein dem preußischen Staate die Führung in Deutschland
gebühre. Alle Kleinfürsten hätten immer nur ihrem lieben Hause gelebt,
auch Oesterreich brauche die deutsche Kraft nur für seine persönlichen
Zwecke. Nur Preußen ist ein eigentlich deutscher Staat, hat als solcher
durchaus kein Interesse zu unterjochen oder ungerecht zu sein; der preu-