478 J. 4. Der Befreiungskrieg.
einst seine besten Jahre im Einerlei subalternen Dienstes verbracht hatte.
Die Langeweile jener öden Zeit kam ihm jetzt zu gute; er kannte Weg
und Steg im Lande, er wußte, daß die heimtückischen kleinen Bäche des
Riesengebirges bei Unwetter rasch zu reißenden Strömen werden, und
baute darauf seinen Plan. Nichts schien ihm erbärmlicher als das Aus—
ruhen auf den errungenen Lorbeeren; kaum war Schlesien befreit, so
faßte er alsbald das Ziel der Vereinigung der drei Armeen in's Auge.
Nur so konnte eine große Entscheidung erzwungen werden, und dieses
letzten Erfolges fühlte sich der Kühne so sicher, daß er schon im September,
zu einer Zeit da die Meisten kaum auf die Eroberung von Dresden zu
hoffen wagten, seinen Offizieren voraussagte, sie sollten noch in diesem
Herbst Trauben am Rhein pflücken. Er nannte Napoleon gern seinen
Lehrer, denn von ihm hatte er gelernt die Künstelei der alten militärischen
Schule zu verachten; erst in der Hauptstadt des Feindes hoffte er die
Waffen niederzulegen. So stand er unter den Heerführern der Verbün—
deten als der Pfadfinder des Sieges, wie ihn der Meißel Christian Rauch's
dargestellt hat, mit vorgestrecktem Arm hinweisend auf des Krieges letztes
Ziel, der einzige Mann, der sich der Feldherrngröße Napoleon's gewachsen
fühlte. Fortiter, fideliter, feliciter! — so lautete der hochgemuthe Wahl-
spruch seines Wappens.
Die Begeisterung der Jugend und die Gunst der Frauen wendeten
sich der heiteren Kraft und Frische des genialen Mannes von selber zu;
vor den älteren Kameraden mußte er sich erst durch den Erfolg rechtfer-
tigen. Die drei Corpsführer der schlesischen Armee fügten sich ungern den
Weisungen des jungen Generalmajors; immerhin war Sacken's Eigensinn
und Langeron's Ungehorsam noch erträglicher als das gallige Tadeln und
Klagen VYork's. Der Hochconservative hatte den alten Groll gegen die
Reformpartei noch nicht überwunden, nannte Blücher einen rohen Husaren,
Gneisenau ein phantastisches Kraftgenie, schalt über die Heerverderber,
die den erschöpften Truppen unmögliche Entbehrungen und Gewaltmärsche
zumutheten, forderte wiederholt seinen Abschied. Blücher's Hochherzigkeit
ließ sich von Alledem gar nicht anfechten; er meinte gleichmüthig: „der
York ist ein giftiger Kerl, er thut nichts als räsonniren, aber wenn es
losgeht dann beißt er an wie Keiner.“
Unbeirrt von Blücher's vorwärtsdrängendem Ungestüm wie von den
besorgten Warnungen der Generale schritt Gneisenau seines Weges. Durch
den Sieg an der Katzbach entwaffnete er den Widerstand. Der Tadel wagte
sich nicht mehr so laut hervor, obschon er nicht gänzlich verstummte; und
als auch im weiteren Verlaufe des Krieges fast immer die schönsten Kränze
diesem kleinen Heere zufielen, da galt es bald als ein Ruhm der schlesischen
Armee anzugehören. Ein frohes Selbstgefühl verband alle ihre Glieder,
sie wußte, daß sie wirklich, wie Clausewitz sagte, die stählerne Spitze war
an dem schwerfälligen eisernen Keile der Coalition. Selbst die Russen ver-