Die Nordarmee. 481
einen Vormarsch gegen Obersachsen hin für hochbedenklich; die Stellung
der Nordarmee südlich von Berlin war allerdings schwierig, sie konnte im
Rücken von Hamburg aus, von Magdeburg her in der Flanke bedroht
werden und hatte vor sich die Festungen Wittenberg und Torgau. Noch
andere tiefgeheime politische Pläne nöthigten Karl Johann zur Vorsicht.
Der schlaue Bearner hatte schon in Frankreich die Rolle des freisinnigen
Oppositionsmannes gespielt und stand jetzt wieder in vertraulichem Ver-
kehre mit Lafayette und anderen französischen Unzufriedenen; unmöglich
schien es ihm nicht, daß der Wille der Franzosen und die Gunst der
großen Mächte ihn selber auf den Thron Frankreichs beriefen wenn sein
persönlicher Feind Napoleon fiel. Wollte er aber den Stolz seiner ohnehin
gegen den Abtrünnigen erbitterten alten Landsleute nicht tödlich verletzen,
so durfte er die entscheidenden Schläge des Krieges nicht selber führen.“
Den preußischen Offizieren gefiel anfangs die gewinnende Liebens-
würdigkeit des geistreichen, redseligen Südländers, doch bald wurden sie
mit Befremden gewahr, daß ihr Feldherr auch jetzt noch, an der Spitze
einer großen Armee, ebenso zaudernd und bedachtsam verfuhr wie im
Frühjahr, als er Hamburg in die Hände des Feindes fallen ließ. Ein
widerwärtiger Streit brach aus. Die Generale Bülow und Borstell,
Beide unter den preußischen Kameraden bekannt als unbequeme Unter-
gebene von starkem Eigensinn, fühlten sich in ihrem Gewissen gedrungen,
mit Rathschlägen und Vorstellungen dem Commandirenden entgegenzu-
treten, und begreiflich genug, daß die tapferen Degen dem verdächtigen
Fremdling in der Hitze des Zornes zuweilen unrecht thaten.
Oudinot's Armce rückte von Sachsen aus heran, 70,000 Mann stark,
Truppen aus allerlei Volk: Franzosen, Italiener, Croaten, Polen, Illyrier,
dazu die übelberufene Division Durutte mit ihren Schaaren begnadigter
Deserteure und Verbrecher. Die Hauptmasse aber bildeten Deutsche aus
Sachsen, Westphalen, Baiern, Würzburg; ein glorreicher Einzug in Berlin
sollte die Rheinbündner wieder fester an die französische Sache ketten.
Die halbkreisförmige starke Vertheidigungslinie, welche die morastigen Ge-
wässer der Nuthe und der Notte sechs Stunden südlich von Berlin bilden,
wurde nach lebhaften Gefechten von den Franzosen überschritten, da Ber-
nadotte das sumpfige Waldland mit ungenügenden Streitkräften besetzt
hatte. Bereits drang ihre Vorhut durch die Waldungen bis nach Großbeeren
vor; gelang ihr sich dort zu behaupten, so hatte das feindliche Heer nur
noch die freie Ebene des Teltower Landes zu durchschreiten und konnte
ohne Aufenthalt in Berlin einziehen. Dem schwedischen Kronprinzen lag
wenig an der Behauptung der preußischen Hauptstadt, längst hatte er schon
alle Vorbereitungen für die Räumung Berlins, für den Rückzug über die
*) Ich kann nicht finden, daß G. Swederus (in seinem galligen Buche: Schwedens
Politik und Kriege in d. J. 1808—14) etwas Wesentliches zu Gunsten seines Helden
Karl Johann erwiesen hätte.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 31