Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die Nordarmee. 481 
einen Vormarsch gegen Obersachsen hin für hochbedenklich; die Stellung 
der Nordarmee südlich von Berlin war allerdings schwierig, sie konnte im 
Rücken von Hamburg aus, von Magdeburg her in der Flanke bedroht 
werden und hatte vor sich die Festungen Wittenberg und Torgau. Noch 
andere tiefgeheime politische Pläne nöthigten Karl Johann zur Vorsicht. 
Der schlaue Bearner hatte schon in Frankreich die Rolle des freisinnigen 
Oppositionsmannes gespielt und stand jetzt wieder in vertraulichem Ver- 
kehre mit Lafayette und anderen französischen Unzufriedenen; unmöglich 
schien es ihm nicht, daß der Wille der Franzosen und die Gunst der 
großen Mächte ihn selber auf den Thron Frankreichs beriefen wenn sein 
persönlicher Feind Napoleon fiel. Wollte er aber den Stolz seiner ohnehin 
gegen den Abtrünnigen erbitterten alten Landsleute nicht tödlich verletzen, 
so durfte er die entscheidenden Schläge des Krieges nicht selber führen.“ 
Den preußischen Offizieren gefiel anfangs die gewinnende Liebens- 
würdigkeit des geistreichen, redseligen Südländers, doch bald wurden sie 
mit Befremden gewahr, daß ihr Feldherr auch jetzt noch, an der Spitze 
einer großen Armee, ebenso zaudernd und bedachtsam verfuhr wie im 
Frühjahr, als er Hamburg in die Hände des Feindes fallen ließ. Ein 
widerwärtiger Streit brach aus. Die Generale Bülow und Borstell, 
Beide unter den preußischen Kameraden bekannt als unbequeme Unter- 
gebene von starkem Eigensinn, fühlten sich in ihrem Gewissen gedrungen, 
mit Rathschlägen und Vorstellungen dem Commandirenden entgegenzu- 
treten, und begreiflich genug, daß die tapferen Degen dem verdächtigen 
Fremdling in der Hitze des Zornes zuweilen unrecht thaten. 
Oudinot's Armce rückte von Sachsen aus heran, 70,000 Mann stark, 
Truppen aus allerlei Volk: Franzosen, Italiener, Croaten, Polen, Illyrier, 
dazu die übelberufene Division Durutte mit ihren Schaaren begnadigter 
Deserteure und Verbrecher. Die Hauptmasse aber bildeten Deutsche aus 
Sachsen, Westphalen, Baiern, Würzburg; ein glorreicher Einzug in Berlin 
sollte die Rheinbündner wieder fester an die französische Sache ketten. 
Die halbkreisförmige starke Vertheidigungslinie, welche die morastigen Ge- 
wässer der Nuthe und der Notte sechs Stunden südlich von Berlin bilden, 
wurde nach lebhaften Gefechten von den Franzosen überschritten, da Ber- 
nadotte das sumpfige Waldland mit ungenügenden Streitkräften besetzt 
hatte. Bereits drang ihre Vorhut durch die Waldungen bis nach Großbeeren 
vor; gelang ihr sich dort zu behaupten, so hatte das feindliche Heer nur 
noch die freie Ebene des Teltower Landes zu durchschreiten und konnte 
ohne Aufenthalt in Berlin einziehen. Dem schwedischen Kronprinzen lag 
wenig an der Behauptung der preußischen Hauptstadt, längst hatte er schon 
alle Vorbereitungen für die Räumung Berlins, für den Rückzug über die 
  
*) Ich kann nicht finden, daß G. Swederus (in seinem galligen Buche: Schwedens 
Politik und Kriege in d. J. 1808—14) etwas Wesentliches zu Gunsten seines Helden 
Karl Johann erwiesen hätte. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 31
	        
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