Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

482 I. 4. Der Befreiungskrieg. 
Spree getroffen. In fieberischer Spannung lauschten die Bürger auf 
den Kanonendonner, der von Süden herüber klang. Sie wußten was ihnen 
drohte; Napoleon hatte befohlen die verhaßte Stadt in Brand zu schießen. 
Da, am Nachmittage des 23. August, entschloß sich Bülow eigen- 
mächtig das Corps Reynier's bei Großbeeren anzugreifen bevor Oudinot 
und Bertrand zur Unterstützung herankamen. Während Borstell den Feind 
in der rechten Flanke faßte, richtete Bülow selbst seinen Angriff gegen 
das Centrum in Großbeeren. Wieder wie fast an allen Schlachttagen 
dieses Herbstes lag ein dicker Wolkenschleier über der Landschaft. Triefend 
von Regen stürmten die Truppen vor, viele Landwehren darunter, alle 
voll Kampflust, doch Niemand ergrimmter als die Märker, die hier recht 
eigentlich für Weib und Kind, für Haus und Herd fochten; sie drehten 
die unbrauchbaren Flinten um und hieben unter dem Rufe: „so fluscht 
et bäter“ mit schmetternden Kolbenschlägen auf die Schädel der Feinde 
ein. Gegen Abend war Großbeeren genommen, trotz des heldenhaften 
Widerstandes der Sachsen, und Reynier trat den verlustreichen Rückzug 
durch das Waldland an. Daß sein Corps nicht gänzlich aufgerieben wurde, 
verdankte er allein dem schwedischen Kronprinzen, der, taub für alle Bitten 
Bülow's, nur eine einzige schwedische Batterie und einen Theil der russi- 
schen Geschütze am Kampfe theilnehmen ließ statt durch einen rechtzeitigen 
Angriff auf Reynier's linken Flügel dem geschlagenen Feinde den Garaus 
zu machen. Hier wie in Schlesien fiel den Preußen die schwerste Arbeit 
zu, und nicht durch einen Zufall, denn nur für sie war dieser Krieg Ein 
Kampf um das Dasein. Oudinot gab das Spiel verloren, ging mit 
seiner gesammten Armee auf Wittenberg zurück. 
Am folgenden Morgen eilten die Berliner in Schaaren auf das 
Schlachtfeld hinaus ihre Befreier zu begrüßen; lange Züge hochbepackter 
Wagen brachten Bettzeug für die Verwundeten, Wein und Speisen für 
die Ermatteten. Welche Ausbrüche des Jubels und der Klage unter allen 
diesen Eltern und Geschwistern, die ihre Söhne, ihre Brüder suchten; es 
war des Dankes und der Umarmungen kein Ende; in tausend rührenden 
Zügen bekundete sich die heilige Macht der Liebe, die ein gerechter Krieg 
in edlen Völkern erweckt. 
Das Beste blieb doch, daß die Preußen abermals einen vaterländischen 
Helden lieben lernten, den allezeit glücklichen Bülow: — so hieß er jetzt seit 
den Siegen von Luckau und Großbeeren; in dem Kriege von 1807 hatten die 
Kameraden wohl seine Tüchtigkeit gelobt aber sein ewiges Unglück bedauert. 
Auch er zählte wie York zu den Soldaten der alten Schule und war den 
Bestrebungen der Reformpartei nicht hold, wenngleich er den Groll des 
alten Isegrimm nicht theilte. Doch die Schande seines Landes empfand 
er in tiefster Seele und als der Kampf ausbrach führten ihn sein gerader 
Soldatenverstand und der angeborene feurige Muth von selber zu einer 
kühnen Kriegsweise, die den Theorien Scharnhorst's entsprach; zudem stand
	        
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