Schlacht von Wartenburg. Anmarsch gegen Leipzig. 501
zog sich westlich über die Saale, so daß ihm der Weg nach Leipzig offen
blieb, und der diplomatischen Kunst Rühle von Lilienstern's gelang es auch
den Kronprinzen, der schon über die Elbe zurückweichen wollte, zu dem
Marsche über die Saale zu bewegen. Napoleon erkannte zu spät, daß er
in die Luft gestoßen hatte. Jetzt, in der höchsten Bedrängniß, kam er
nochmals auf seinen Lieblingsplan zurück und dachte an seinen fünften
Zug gegen Berlin: so leidenschaftlich war sein Verlangen den Herd der
deutschen Volksbewegung zu züchtigen. Seine Vortruppen drangen bereits
über die Elbe, Tauentzien trat mit seinem Corps einen übereilten Rück-
zug an, und am 13. October befürchtete die preußische Hauptstadt noch
einmal einen feindlichen Angriff. Doch inzwischen hatte der Imperator
seinen Entschluß wieder geändert und wendete sich nach Leipzig zurück.
Sein Stolz verschmähte die offene Rückzugslinie nach dem Rheine; er
hoffte dicht vor den Mauern Leipzigs der von Süden heranrückenden böh-
mischen Armee die Schlacht anzubieten, bevor die beiden anderen Heere
eintrafen. Das edle Wild war gestellt; das gewaltige K. esseltreiben dieses
Herbstes näherte sich dem Ende.
Gneisenau's Augen leuchteten, als er am Morgen des 18. Octobers
das ungeheure Schlachtfeld überblickte, wie vom Nordwesten und Norden,
vom Südosten und Süden her die Heersäulen der Verbündeten im weiten
Halbkreise gegen Leipzig heranzogen. Er wußte, die Stunde der Erfül-
lung hatte geschlagen, und wie er empfand das Volk. Wie oft hatten
sich die Deutschen erfreut an den Schilderungen der Kaufleute von dem
vielsprachigen Völkergewimmel, das von Zeit zu Zeit marktend und
schachernd die hochgieblichen Straßen der alten Meßstadt erfüllte; jetzt
strömten wieder alle Völker des Weltreichs vom Ebro bis zur Wolga in
den schlachtgewohnten Ebenen Obersachsens zusammen. Die große Zahl-
woche kam heran, die Abrechnung für zwei Jahrzehnte des Unheils und
der Zerstörung. Nach der Schlacht erzählte sich das Volk in der Pfalz,
wie die acht Kaiser aus den Grüften des Speierer Doms sich erhoben
hatten und Nächtens über den Rhein gefahren waren um bei Leipzig
mitzukämpfen; nach vollbrachter Arbeit ruhten sie wieder still im Grabe.
Die Verbündeten hatten für sich den dreifachen Vortheil der Ueberzahl
an Mannschaft und Geschütz, des concentrischen Angriffs und einer sicheren
Flügelanlehnung. Napoleon stand im Halbkreise auf der Ebene östlich
von Leipzig; hinter ihm lagen die Stadt und die Auen — jene wild-
reichen dichten Laubwälder, die sich meilenlang zwischen der Elster, der
Pleiße und ihren zahlreichen sumpfigen Armen ausdehnen, ein für die
Entfaltung großer Truppenmassen völlig unbrauchbares Wald= und Sumpf-
land, das die beiden Flügel der Verbündeten gegen jede Umgehung sicherte.
Gelang der Angriff, so konnte der Imperator vielleicht versuchen irgendwo
den eisernen Ring der alliirten Heere zu durchbrechen und sich ostwärts
nach Torgau durchzuschlagen — ein tollkühnes Wagniß, das bei einiger