536 I. 5. Ende der Kriegszeit.
klärung, wie viel polnisches Land Rußland für sich verlange. Erst als
Alexander abermals jede bestimmte Antwort vor dem Friedensschlusse ver-
weigerte, ging Preußen auf eigene Faust vor. Der Staatskanzler ent-
warf eine genaue Berechnung der für Preußen nothwendigen Entschädi-
gungen und übergab diese Denkschrift, während des Aufenthalts zu
Basel im Januar 1814, dem österreichischen Hofe. Sie forderte ganz
Sachsen, Vorpommern, die Rheinlande von Mainz bis zur niederländi-
schen Grenze, sowie Polen bis zur Warthe; die Einwohnerzahl der Mon-
archie war auf 10—11 Millionen berechnet. Als einzige Antwort er-
hielt Hardenberg ein französisches Billet des Grafen Stadion.) Im
Tone vertraulicher Freundschaft, mit der wohlbekannten k. k. Gemüthlich-
keit bemerkt der Oesterreicher, die preußischen Zahlen seien doch gar zu
hoch, über zehn Millionen dürfe man nicht hinausgehen. Dann wagt er
eine schüchterne „Bemerkung zu Gunsten des unglücklichen sächsischen Kur-
hauses, dessen gänzliche Vertreibung aus Deutschland mir allzusehr das
Gefühl der politischen Moral zu verletzen scheint.“ Er deutet an, Preu-
ßen könne sich wohl mit der Lausitz und dem rechten Elbufer begnügen
und schließt harmlos: „Ew. Excellenz werden mir diese Betrachtungen
eines Biedermannes verzeihen; ich erlaube mir dergleichen zuweilen in
der Politik.“ Hardenberg antwortete sogleich:*) „Von Allem was Sach-
sen widerfahren könnte, wäre die Theilung des Landes ohne Zweifel das
Schlimmste.“ Er hielt seine Forderungen entschieden aufrecht, verwies
zum Schluß auf die soeben eingetroffene Meldung von der Erstürmung
Wittenbergs und auf alle die anderen Rechtstitel, welche sich Preußen
durch seine kriegerischen Leistungen erworben habe. Damit hatte der
Schriftwechsel ein Ende; Metternich weigerte sich, vor dem Frieden irgend
welche Zusage zu geben.
Bei einiger Wachsamkeit konnte der Staatskanzler sich über die Be-
weggründe der Stadion'schen „Biedermanns-Betrachtungen“ nicht täuschen.
Eben in jenen Tagen erhielt er die sichere Nachricht, daß derselbe Mann,
der das Vertrauen des Kaisers Franz besaß und die Operationspläne
des großen Hauptquartiers entwarf, der Sachse Langenau, mit den säch-
sischen Royalisten insgeheim in Verbindung stand. Metternich, wegen
dieser Umtriebe zur Rede gestellt, gab sogleich eine beschwichtigende Zusage.
Trotz aller solcher Anzeichen wollte Hardenberg seinen Glauben an Oester-
reichs treue Freundschaft nicht aufgeben.
Auch eine andere theure Hoffnung des Vertrauensvollen erwies sich
als sehr unsicher. Bernadotte hatte seinen dänischen Krieg beendigt und im
Kieler Frieden den Besiegten die Abtretung von Norwegen abgezwungen
(14. Januar 1814); zur Entschädigung wurde dasselbe Schwedisch-Pommern,
*) Stadion an Hardenberg, Basel, 21. Januar 1814.
*5#) Hardenberg an Stadion, 21. Januar 1814.