Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

562 I. 5. Ende der Kriegszeit. 
worden, den Franzosen nicht ausgeliefert werden sollten.)) Jedoch diese 
ehrliche Auslegung des Vertrags fand bei den Verbündeten Preußens keinen 
Anklang. Die schnelllebige Zeit hatte in der That schon ganz vergessen, 
daß jenes deutsch gebliebene Viertel des Elsasses einst den ersten Anlaß zu 
den Revolutionskriegen gegeben hatte; allgemein glaubte man in der diplo- 
matischen Welt, was die Franzosen geflissentlich aussprengten, das gesammte 
oberrheinische Land sei schon seit zweihundert Jahren französisch. Jeden- 
falls wollte man sich auf schwierige historische Untersuchungen nicht ein- 
lassen und beschloß das ganze Elsaß sowie das ganze Moseldepartement 
sogleich den französischen Behörden auszuliefern. Damit war die Grund- 
lage des Friedensschlusses bereits festgestellt noch bevor der Friedenscongreß 
eröffnet wurde. Die Coalition hatte, gegen den Widerspruch Preußens, that- 
sächlich schon den Grundsatz anerkannt, daß die Grenzen vom 1. Januar 
1792 zwar im Allgemeinen die Regel bilden, doch im Einzelnen zu Gunsten 
des Besiegten verändert werden müßten. Jene Frankfurter Verheißung: 
Frankreich wird größer sein als unter seinen Königen — sollte sich erfüllen. 
Die Verhandlungen über den Friedensvertrag konnten erst am 9. Mai 
beginnen,'*) sobald wieder eine anerkannte Staatsgewalt in Frankreich 
bestand. Die Bevollmächtigten versammelten sich in Talleyrand's Hause. 
Metternich und Stadion, Hardenberg und Humboldt, Nesselrode und 
Rassumowsky, endlich Castlereagh, Stewart, Aberdeen und Cathcart ver- 
traten die Coalition. Der soeben zum Minister des Auswärtigen ernannte 
Talleyrand und jener Laforest, der vor 1806 in Berlin die Geschäfte Napo- 
leon's geführt hatte, verhandelten im Namen des Allerchristlichsten Königs. 
Mit gewohnter Dreistigkeit sprach der französische Minister sein Befrem- 
den darüber aus, daß man dem unbefleckten Lilienbanner dieselben Zu- 
muthungen stellte, wie der revolutionären Tricolore, und wiederholte 
pathetisch die in Napoleon's letzten Erklärungen so oft erneuerte Versiche- 
rung: alle anderen Großmächte hätten sich unmäßig vergrößert; kehre 
Frankreich wieder in die Grenzen von 92 zurück, so werde das Gleich- 
gewicht Europas bedenklich verschoben. Indeß sah der kluge Mann wohl 
ein, daß alles Wesentliche in Wahrheit schon entschieden war; er wußte, 
daß dies entwaffnete Frankreich nach Lage der Umstände sich gar nichts 
Besseres wünschen konnte als die nachsichtigen Anerbietungen der Coalition, 
und beschränkte sich daher bald auf den Versuch, die Grenzen von 92 
möglichst vortheilhaft abzurunden. Die wenigen kurzen Sitzungen des 
Congresses, die in Eile mitten in einem Strudel von Bällen, Schmäusen 
und Vergnügungen aller Art abgehalten wurden, galten nur der Erle- 
digung von Fragen zweiten Ranges; darum ist auch in den Archiven 
wenig darüber zu finden. Bei der Gönnerschaft, welche Rußland, Eng- 
  
*) Stein an Hardenberg, 11. März 1814. 
**) Metternich an Hardenberg, 8. Mai 1814.
	        
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