Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Friedrich II. 49 
die Rede, der König stehe beständig mit gespanntem Hahn auf der Wacht 
ohne jemals abzudrücken; und wenn den deutschen Mann im Reiche zu— 
weilen eine stille Angst vor der Potsdamer Wachparade überkam, dann 
tröstete ihn das Spottwort: So schnell schießen die Preußen nicht! — 
Der Spott verstummte, als Preußen einen Herrscher fand, der mit 
dem Sinne für das Mögliche, mit der glücklichen Nüchternheit der Hohen— 
zollern die Kühnheit und den freien Blick des Genius vereinte. Der helle 
Sonnenschein der Jugend strahlt über den Anfängen der fridericianischen 
Zeit, da endlich nach langem Stocken und Zagen die zähe Masse der er— 
starrten deutschen Welt wieder in Fluß gerieth und die mächtigen Gegensätze, 
welche fie barg, in nothwendigem Kampfe sich maßen. Seit den Tagen 
jenes Löwen aus Mitternacht hatte Deutschland nicht mehr das Bild eines 
Helden gesehen, zu dem die gesammte Nation bewundernd emporblickte; 
der aber jetzt in stolzer Freiheit, wie einst Gustav Adolf, mitten durch 
die großen Mächte seines Weges schritt und die Deutschen zwang wieder 
an die Wunder des Heldenthums zu glauben, er war ein Deutscher- 
Der springende Punkt in dieser mächtigen Natur bleibt doch die 
erbarmungslos grausame deutsche Wahrhaftigkeit. Friedrich giebt sich wie 
er ist und sieht die Dinge wie sie sind. Wie in der langen Bändereihe 
seiner Briefe und Schriften keine Zeile steht, darin er versuchte seine Thaten 
zu beschönigen, sein eigenes Bild für die Nachwelt auszuschmücken, so trägt 
auch seine Staatskunst, wenngleich sie die kleinen Künste und Listen des 
Zeitalters als Mittel zum Zwecke nicht verschmäht, das Gepräge seines 
königlichen Freimuths: so oft er zum Schwerte greift, verkündet er mit 
unumwundener Bestimmtheit, was er von dem Gegner fordert, und legt 
die Waffen erst nieder am erreichten Ziele. Seit er zum Denken erwacht, 
fühlt er sich froh und stolz als den Sohn eines freien Jahrhunderts, 
das mit der Fackel der Vernunft in die staubigen Winkel einer Welt 
alter Vorurtheile und entgeisteter Ueberlieferungen hineinleuchtet; er läßt 
sich das Bild des Sonnengottes, der siegreich durch die Morgenwolken 
aufsteigt, an die Decke seines heiteren Rheinsberger Saales malen. Mit 
der dreisten Zuversicht des Jüngers der Aufklärung tritt er an die Er- 
scheinungen des historischen Lebens heran und prüft eine jede, wie sie 
bestehe vor dem Urtheil des scharfen Verstandes. In den schweren Macht- 
kämpfen der Staaten achtet er nur das Lebendige, nur die von rascher 
Thatkraft klug benutzte Macht. „Unterhandlungen ohne Waffen sind 
wie Noten ohne Instrumente", sagt er unbefangen, und auf die Nachricht 
von dem Tode des letzten Habsburgers fragt er seine Räthe: „Ich gebe 
Euch ein Problem zu lösen; wenn man im Vortheile ist, soll man sich 
dessen zu nutze machen oder nicht?“ Die prahlerische Ohnmacht, die sich 
als Macht gebärdet, das unsittliche Vorrecht, das mit der Heiligkeit des 
historischen Rechts prunkt, die Thatenscheu, die ihre Rathlosigkeit hinter 
leeren Formbedenken verbirgt, fanden niemals einen stolzeren Verächter; 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 4
	        
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