Das Wiener Leben. 605
Finanznoth des Hauses Oesterreich, zum ersten male als eine Macht auf—
traten und in die vornehme Welt eindrangen, die Firmen Arnstein, Eskeles,
Herz waren damit nicht allzu reich gesegnet.
Unvermeidlich wirkte die geistige Armseligkeit dieser Umgebung auf den
ganzen Ton des Congresses zurück. Das flache Vergnügen bot hier den ein—
zigen Schutz gegen die Langeweile. Maskenzüge und Praterfahrten, Bälle
und Spielpartien, Schmausereien und lebende Bilder drängten einander in
eintönigem Wechsel, so daß die Arbeit der Diplomatie lange kaum beginnen
konnte. Eine kaustische Bemerkung des Fürsten von Ligne oder eine Skan—
dalgeschichte von Metternich, der niemals weniger als zwei Damen zu—
gleich mit seiner Gunst beehrte, oder eine Witzelei über die neu erfundene
Draisine des Barons Drais, deren humpelnde Bewegung dem Fortschreiten
der Congreßverhandlungen so verzweifelt ähnlich sah, oder ein Urtheils—
spruch jenes hohen Gerichtshofs der Feinschmeckerei, der an Talleyrand's
Tafel den Käse von Brie feierlich zum König des Käsegeschlechts ausrief
— das waren die Silberblicke in dieser ungeheuren Fadheit. Es schien,
als wollte der wiederhergestellte alte Fürstenstand den Völkern Europas
recht gründlich zeigen, für welches Nichts sie geblutet hatten. Man hat
viel von Napoleon gelernt, sagte Karl August bitter, unter Anderem auch
die Frechheit.
kicht ohne Geschick spielte der Hausherr, Kaiser Franz die Rolle
des ehrwürdigen Patriarchen unter dem hohen Adel, obgleich er noch
kaum siebenundvierzig Jahre zählte. Er ließ sich's nicht verdrießen, täglich
fünfzigtausend Gulden für die kaiserliche Tafel, für den Congreß insge-
sammt 16 Millionen Gulden auszugeben, während seine unbezahlten In-
validen auf den Landstraßen betteln gingen; der pfiffige Rechner wußte
wohl, welche Vortheile ihm die Stellung des Wirthes bot. Wie rührend
erschien den durchlauchtigen Gästen diese mehr als unscheinbare Gestalt
in ihrem abgeschabten blauen Rocke, mit dem gemüthlichen kleinbürgerlichen
Wesen. Ein geborener Florentiner war Franz erst als junger Mann an
die Donau gekommen; aber die Maske des biederen, treuherzig groben
Oesterreichers, die er damals vor sein Gesicht genommen, saß ihm jetzt
wie angegossen, weil sie seinem Phlegma und seinen vulgären Neigungen
entsprach. Niemand auf der Welt vermochte ihm jemals ein Gefühl
herzlichen Wohlwollens zu entlocken; spurlos rauschten die Schicksals-
wechsel einer ungeheuren Zeit über den Stumpfsinn seiner Selbstsucht
dahin. Er begnadigte niemals, außer wenn der Verbrecher selber um
den Tod bat; er leitete in eigener Person die Mißhandlung der politischen
Gefangenen, bestimmte jedem selber die Schwere der Ketten und die Zahl
der Fasttage und kannte keine süßere Erholung als das Durchlesen er-
brochener Briefe; er hatte schon zwei Frauen verloren und sollte bald
auch die dritte begraben um sofort wieder mit unwandelbarer Gemüths-
ruhe die vierte zu heirathen; er umgab sich grundsätzlich nur mit Menschen