Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

52 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
handelten Jugend schwer empfunden; sein Herz war geschworen von Haß 
„gegen die kaiserliche Bande“, die mit ihren Schlichen und Lügen ihm 
das Herz seines Vaters verfeindet hatte. Sein unzähmbarer Stolz bäumte 
sich auf, wenn man an dem väterlichen Hofe den vornehmen Ton kalter 
Abweisung gegen die Zumuthungen Oesterreichs gar nicht finden wollte; 
dann schrieb er zornig, ein König von Preußen solle dem edlen Palm- 
baum gleichen, von dem der Dichter sage: „wenn du ihn fällen willst, so 
hebt er seinen stolzen Wipfel.“ Zugleich war er mit wachsamen Augen 
der Verschiebung der Machtverhältnisse im Staatensysteme gefolgt und zu 
der Einsicht gelangt, daß die alte Politik des europäischen Gleichgewichts 
sich gänzlich überlebt hatte: seit den Siegen des spanischen Erbfolgekrieges 
war es nicht mehr an der Zeit, im Bunde mit Oesterreich und England 
die Bourbonen zu bekämpfen; jetzt galt es, den neuen deutschen Staat 
„durch den Schrecken seiner Waffen“ auf eine solche Stufe der Macht 
emporzuheben, daß er gegen jede Nachbarschaft, auch gegen das Kaiser- 
haus seinen freien Willen behaupten durfte. 
So erhält denn der viel mißbrauchte Ausdruck „deutsche Freiheit" 
in Friedrich's Munde einen neuen, edleren Sinn. Er bedeutet nicht mehr 
jene ehrlose Kleinfürstenpolitik, welche das Ausland gegen den Kaiser zu 
Hilfe rief und die Marken des Reichs an die Fremden verrieth; er be- 
deutet die Aufrichtung einer großen deutschen Macht, die das Vaterland 
im Osten und im Westen mit starker Hand vertheidigt, aber nach ihrem 
eigenen Willen, unabhängig von der Reichsgewalt. Seit hundert Jahren 
galt die Regel, daß wer nicht gut österreichisch war gut schwedisch sein 
mußte, wie Hippolithus a Lapide, oder gut französisch, wie die Fürsten 
des Rheinbundes, oder gut englisch, wie die Sippe des Welfenhauses; 
selbst der große Kurfürst konnte, in der furchtbaren Pressung zwischen 
überlegenen Nachbarn, nur von Zeit zu Zeit eine selbständige Haltung 
behaupten. Es ist Friedrich's Werk, daß neben jenen beiden gleich ver- 
derblichen Tendenzen der verhüllten und der unverhüllten Fremdherrschaft 
eine dritte Richtung sich erhob, eine Politik, die nur preußisch war und 
nichts weiter; ihr gehörte Deutschlands Zukunft. 
Vom Vaterlande viel zu reden war nicht die Weise dieses Hassers der 
Phrase; und doch lebte in seiner Seele ein reizbarer, schroff abweisender 
Nationalstolz, unzertrennlich verwachsen mit seinem gewaltigen Selbstgefühle 
und seinem Fürstenstolze. Daß fremde Nationen auf deutschem Boden 
die Herren spielen sollten, erschien ihm wie eine Beleidigung seiner per- 
sönlichen Ehre und des erlauchten Blutes in seinen Adern, das der 
philosophische König, naiv wie der Genius ist, immer sehr hoch hielt. 
Wenn das wunderliche Wirrsal der deutschen Dinge ihn zuweilen zum 
Bunde mit dem Auslande zwang, niemals hat er den fremden Mächten eine 
Scholle deutschen Landes verheißen, niemals seinen Staat für ihre Zwecke 
mißbrauchen lassen. Sein Leben lang ward er der treulosen Arglist
	        
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