Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Friedrich's deutsche Politik. 53 
geziehen, weil kein Vertrag und kein Bündniß ihn je vermochte auf das 
Recht der freien Selbstbestimmung zu verzichten. Alle Höfe Europas 
sprachen grollend vom travailler pour le roi de Prusse; von Altersher 
gewohnt das deutsche Leben zu beherrschen vermochten sie kaum zu fassen, 
daß sich endlich wieder die entschlossene Selbstsucht eines unabhängigen 
deutschen Staates ihrem Willen entgegenstemmte. Der königliche Schüler 
Voltaire's hat für den deutschen Staat dasselbe Werk der Befreiung be- 
gonnen, das Voltaire's Gegner, Lessing, für unsere Dichtung vollführte. 
Schon in seinen Jugendschriften verdammt er in scharfen Worten die 
Schwäche des heiligen Reichs, das seine Thermopylen, das Elsaß dem 
Fremdling geöffnet habe; er zürnt auf den Wiener Hof, der Lothringen 
an Frankreich preisgegeben; er will es der Königin von Ungarn nie ver- 
zeihen, daß sie die wilde Meute jener Grazien des Ostens, Jazygen, 
Croaten und Tolpatschen auf das deutsche Reich losgelassen und die 
moskowitischen Barbaren zum ersten male in Deutschlands innere Händel 
herbeigerufen hat. Dann während der sieben Jahre entladet sich sein 
deutscher Stolz und Haß oft in Worten grimmigen Hohnes. Den 
Russen, die ihm seine neumärkischen Bauern ausplündern, sendet er den 
Segenswunsch: „O könnten sie in's Schwarze Meer mit Einem Sprunge 
sich versenken, köpflings, den Hintern hinterher, sich selber und ihr An- 
gedenken.“ Und als die Franzosen das Rheinland überfluthen, da singt 
er, freilich in französischer Sprache, jene Ode, die an die Klänge des 
Befreiungskrieges gemahnt: 
Bis in seine tiefste Quelle 
Schäumt der alte Rhein vor Groll, 
Flucht der Schmach, daß seine Welle 
Fremdes Joch ertragen soll! 
„Die Klugheit ist sehr geeignet zu bewahren was man besitzt, doch 
allein die Kühnheit versteht zu erwerben“ — mit diesem Selbstgeständniß 
hat Friedrich in seinen Rheinsberger Tagen verrathen, wie ihn sein 
innerstes Wesen zu rascher Entschließung, zu stürmischer Verwegenheit 
drängte. Nichts halb zu thun gilt ihm als die oberste Pflicht des Staats- 
mannes, und unter allen denkbaren Entschlüssen scheint ihm der schlimmste 
— keinen zu fassen. Doch er zeigt auch darin sein deutsches Blut, daß 
er die feurige Thatenlust von frühauf zu bändigen weiß durch kalte, 
nüchterne Berechnung. Der die Heldenkraft eines Alexander in sich fühlte, 
beschied sich, das Dauernde zu schaffen in dem engen Kreise, darein ihn 
das Schicksal gestellt. Im Kriege läßt er dann und wann seinem Feuer- 
geiste die Zügel schießen, fordert das Unmögliche von seinen Truppen und 
fehlt durch die stolze Geringschätzung des Feindes; als Staatsmann be- 
währt er immer eine vollendete Mäßigung, eine weise Selbstbeschränkung, 
die jeden abenteuerlichen Plan sogleich an der Schwelle abweist. Keinen 
Augenblick bethört ihn der Gedanke seinen Staat loszureißen von dem 
verfallenen deutschen Gemeinwesen; die Reichsstandschaft beengt ihn nicht
	        
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