Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

680 II. 1. Der Wiener Congreß. 
unter allen deutschen Publicisten nur Zwei: Niebuhr, der sich über die 
deutsche Verfassungsfrage niemals aussprach, und Gentz, die Feder der 
Hofburg. Und wie fremd war doch selbst den besten Deutschen jener 
Tage der ruhige, gehaltene Nationalstolz eines großen Volkes. Auf der 
einen Seite ein fanatischer Haß gegen Frankreich, ein Haß, welchen Arndt 
noch nach dem Kriege als den heiligen Wahn, als die Religion unseres 
Volkes verherrlichte; auf der anderen eine ebenso blinde Bewunderung 
für das allein freie England, das allein unter allen heutigen Völkern 
von vielen herrlichen Namen leuchte — und dies aus dem Munde der 
Landsleute von Goethe, Stein, Blücher und Gneisenau! Als die Pläne 
der Welfen auf dem Congresse sich enthüllten, da gingen dem treuen 
Manne freilich die Augen auf, und er sagte in einer seiner schönsten 
Schriften, dem „Blick aus der Zeit in die Zeit“ frisch von der Leber weg 
dem englischen Kleinsinn und dem hannoverschen Dünkel harte Wahrheiten. 
Ueberall, auch in den Schriften der kundigsten Publicisten, wird 
als unumstößliche Wahrheit gepredigt, die Kleinstaaterei sei Deutschlands 
Zierde, sei der kräftige Fruchtboden unserer Freiheit und Cultur; die 
alte unselige Verwechslung von Freiheit und Vielherrschaft kehrt in den 
mannigfachsten Formen wieder. Aber da man mit dem Wasser der 
Kleinstaaterei auch das Feuer der nationalen Macht verschmelzen wollte, 
so war allen politischen Tausendkünstlern Thür und Thor geöffnet. Die 
handgreifliche Wirklichkeit der deutschen Einzelstaaten nöthigte die Publi- 
cisten von selbst zu nüchterner Selbstbeschränkung; hinsichtlich der Rechte 
der Landstände entstand bereits eine gewisse Uebereinstimmung der An- 
sichten, Alle forderten das Recht der Bitten und Beschwerden sowie die 
Steuerbewilligung, die Meisten auch Theilnahme an der Gesetzgebung. 
Dagegen bot die unfindbare Größe des deutschen Gesammtstaates ein be- 
quemes Versuchsfeld für dilettantische Schrullen und spielende Willkür; 
für das große Vaterland erschien keine Narrheit zu abgeschmackt. Da 
empfahl Professor Lips in Erlangen ein Kaiserthum, das unter den 
deutschen Fürsten aller fünf Jahre reihum gehen sollte: — wie der 
Plumpsack, meinte Görres. Da sendete ein hannoverscher Staatsmann 
dem Congresse den Entwurf einer deutschen Bundesacte, die sich be- 
reits im Artikel 7 zu dem geistreichen Satze erhob: „die große Frage, 
von welcher alles Uebrige abhängt, besteht aber darin: wie soll es künftig 
in Deutschland werden und welche Verfassung soll es erhalten? Hic 
nodus Gordius.“ 
Neben den verworrenen Träumereien der Patrioten ließen sich auch 
schon wieder die begehrlichen Wünsche des Particularismus vernehmen. 
Der geistreiche schwergelehrte Karl Salomo Zachariä, ein würdiger Ver- 
treter jenes bedientenhaften alten Professorenthums, das nun doch an- 
fing seltener zu werden, hatte sich bei seiner Berufung nach Heidelberg 
sofort aus einem unterthänigen Kursachsen in einen unterthänigen Badener
	        
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