Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die neue Staatengesellschaft. 61 
mächtigen Staaten, welche früherhin zuweilen durch ihren Zutritt zu 
einer Coalition den Ausschlag in einem großen Kriege gegeben hatten, 
doch jetzt den schweren Anforderungen der neuen großartigen Kriegsweise 
nicht mehr genügen konnten; die Staaten zweiten Ranges beschieden sich 
fortan, die Leitung der europäischen Dinge den großen Kriegs- und See— 
mächten zu überlassen. Unter diesen fünf führenden Mächten aber waren 
zwei protestantisch, eine schismatisch, die Rückkehr Europas unter die 
Herrschaft des gekrönten Priesters blieb nunmehr undenkbar. Die Be— 
festigung der protestantisch-deutschen Großmacht war die schwerste Nieder— 
lage, welche der römische Stuhl seit dem Auftreten Martin Luther's er— 
litten; König Friedrich hat wirklich, wie der englische Gesandte Mitchell 
von ihm sagte, für die Freiheit des Menschengeschlechts gefochten. 
In der Schule der Leiden und der Kämpfe erwuchs dem Volke 
Preußens eine lebendige Staatsgesinnung; sie berechtigte den König von 
seiner nation prussienne zu reden. Ein Preuße zu sein war vordem 
eine schwere Pflicht, jetzt ward es eine Ehre. Der Gedanke des Staates, 
des Vaterlandes drang erregend und stärkend in Millionen Herzen; auch 
die gedrückte Seele des kleinen Mannes spürte einen Hauch von dem 
antiken Bürgersinne, der aus den schlichten Worten des Königs sprach: 
„Es ist nicht nöthig, daß ich lebe, wohl aber, daß ich meine Pflicht thue 
und für mein Vaterland kämpfe.“ Ueberall in Preußen regten sich unter 
den steifen Formen des absoluten Königthums der Opfermuth und die 
große Leidenschaft des Volkskrieges. Das Heer, das Friedrich's letzte 
Schlachten schlug, war national; die Werbungen im Auslande verboten 
sich selber in der Noth der Zeit. Die Stände der Marken rüsteten 
freiwillig jene Regimenter aus, welche die Festungen Magdeburg, Stettin 
und Küstrin dem Staate retteten; die pommerschen Seeleute traten zu- 
sammen um mit ihrer kleinen Flotte die Odermündungen gegen die 
Schweden zu halten. Sechs Jahre lang empfingen die blutarmen Be- 
amten kein Gehalt und versahen ruhig ihren Dienst, als verstünde sich's 
von selber. Wetteifernd thaten alle Provinzen ihre verfluchte Pflicht und 
Schuldigkeit, wie die neue Redensart der Preußen lautete: von den 
tapferen Bauern der rheinischen Grafschaft Mörs bis hinüber zu den 
unglücklichen Ostpreußen, die dem russischen Eroberer ihren zähen stillen 
Widerstand entgegenstemmten und sich in ihrer festen Treue gar nicht 
stören ließen, als der unerbittliche König sie des Abfalls zieh und mit 
Beweisen der Ungnade überhäufte. 
Die völkerbildende Macht des Krieges erweckte in diesen norddeutschen 
Stämmen zuerst wieder jenen schroffen Stolz, der einst die Romfahrer 
und die Slawenbesieger unseres Mittelalters beseelte; das kecke Selbst- 
gefühl der Preußen stach seltsam ab von der harmlos gemüthlichen Be- 
scheidenheit der anderen Deutschen. Voll Zuversicht widerlegt Graf Hertz- 
berg die Lehre Montesquieu's von der republikanischen Tugend: wo sei
	        
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