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kriegsbereiter Truppen. Das nämliche Gefühl der Unsicherheit zwang ihn
auch zu einer höchst gewagten Kriegführung. Nach den Erfahrungen
des letzten Jahres schien bei einem zähen Vertheidigungskriege im Innern
Frankreichs ein Erfolg nicht ganz unmöglich; doch da der Usurpator
weder auf eine Massenerhebung rechnen noch sich der Gefahr einer Nie-
derlage auf französischem Boden aussetzen konnte, so mußte er den An-
griff auf die Nachbarlande wagen, und für diesen verzweifelten Schlag
standen ihm nur 128,000 Mann zu Gebote. Was übrig blieb wurde an
den weiten Grenzen entlang vertheilt — eine völlig nutzlose Zersplitterung
der militärischen Kräfte; der Argwohn der öffentlichen Meinung erlaubte
dem Imperator nicht, irgend ein Stück französischer Erde ganz ohne
Vertheidigung preiszugeben. Erst als der Krieg unvermeidlich ward, ließ
Napoleon die friedliche Maske fallen und bekannte sich nochmals zu den
hochmüthigen Gedanken der alten Kaiserpolitik. Sein Kriegsminister Da-
voust mußte alle die alten Soldaten vom linken Rheinufer unter die
Fahnen rufen. In seiner Anrede an die Armee sprach der Imperator
wieder wie einst als der Schirmherr des deutschen Particularismus,
mahnte zum Kampfe gegen die unersättliche Coalition, die sich bereits
anschicke die kleinen deutschen Staaten zu verschlingen; eine Proclamation,
die auf dem Schlachtfelde von Belle Alliance in dem erbeuteten Wagen
Napoleon's gefunden wurde, verkündete den Belgiern und Rheinländern
die frohe Botschaft: sie seien würdig Franzosen zu sein!
Sobald dieser Caesar wieder an die Spitze seiner Praetorianer trat,
mußte der alte Kampf zwischen Weltherrschaft und Staatenfreiheit unaus-
bleiblich von Neuem entbrennen. Nach dem Buchstaben des Völkerrechts
war Napoleon's Schilderhebung allerdings nur ein legitimer Eroberungs-
krieg des souveränen Fürsten von Elba gegen den Allerchristlichsten König;
vergeblich suchte Gentz im Oesterreichischen Beobachter durch künstliche
Sophismen dies unbestreitbare Rechtsverhältniß wegzudeuteln. Aber wie
durften die Formen des Völkerrechts diesem Gewalthaber zu Gute kommen,
der sein Leben lang mit Treu und Glauben gespielt, jedes heilige Recht
der Staatengesellschaft mit Füßen getreten hatte? Den Millionen in
Deutschland, Rußland, England erschien der rückkehrende Despot nicht als
ein kriegführender Fürst, sondern schlechtweg als ein blutiger Verbrecher,
der durch ruchlosen Wortbruch alle Segnungen des schwer errungenen
Friedens wieder in Frage stellte. Ein Aufschrei des Zorns ging durch
das preußische Land. Der alte Todfeind war wieder zur Stelle, war wie
ein hungriger Wolf eingebrochen in die friedlichen Hürden der befreiten
Völker; das deutsche Schwert mußte ihn nochmals herunterschleudern
von dem angemaßten Throne — wer hätte das bezweifelt? Dies tapfere
Volk, das unter den Nackenschlägen des Tyrannen so namenlos gelitten,
wollte und konnte nichts sehen von allen den rührenden und erhebenden
Auftritten, welche die Rückkehr des Imperators verschönten, nichts von