Meuterei in Lüttich. 739
preußischen Freiwilligen, welche dem siegreichen Heere nachzogen, konnten
ihre Verachtung gegen die „sächsischen Hunde“ nicht bemeistern; nach wie—
derholten blutigen Raufhändeln mußte man mehrmals die Landstraße ver—
meiden um schmählichen Begegnungen auszuweichen. Und dazu der gerade
für die ehrenhaften Offiziere empörende Gedanke, daß sie an dem Kampfe
von Belle Alliance hätten theilnehmen können und dort unzweifelhaft ihre
Pflicht gethan haben würden! Natürlich schob man alle Schuld auf die
preußischen Generale, die doch nur den Befehl ihres Königs ausgeführt
und den Sachsen durchaus keinen neuen Eid zugemuthet hatten. Während
ganz Deutschland sich das Herz erhob an dem neuen Ruhme der preußi-
schen Waffen, herrschte in Sachsen tiefe Trauer; man sang das Lied des
sächsischen Tambours: „O Vaterland, daß du zerrissen bist! Wie sollt'
ich noch leben zu dieser Frist?“ Die kleine Armee hat nach der endlich
vollzogenen Theilung noch Jahrzehnte lang unter den Folgen jenes bösen
Tages gelitten; sie blieb mit Offizieren überfüllt, das Avancement stockte
gänzlich. Die napoleonischen Veteranen, die alten Herren mit dem blau—
gelben und dem rothen Bande, gaben den Ton an; aus diesen Kreisen
ist dann der Todhaß gegen Preußen wie ein heiliges Vermächtniß auf die
jüngere Generation übergegangen.
Der greise Feldmarschall aber fühlte sich unglücklich bis zur Verzweif-
lung. Seit fünfundfünfzig Jahren trug er den Degen und hatte niemals
anderes Blut vergossen als das Blut der Feinde. Und nun diese Schmachl
Nun mußte er, der Vater seiner Soldaten, Hinrichtungen vornehmen in
der eigenen Armec und nachher noch sein ganzes Ansehen einsetzen um die
Menterer vor dem Ingrimm der Preußen zu beschützen. Der gewaltige
Mann war wie vom Fieber geschüttelt und horchte in furchtbarer Auf-
regung auf das Knattern des Gewehrfeuers, als draußen der Spruch des
Kriegsgerichts vollstreckt ward. An den König von Sachsen aber schrieb
er mit seinem mächtigen Freimuth, in einer Sprache wie sie nie ein
Feldherr gegen ein gekröntes Haupt gewagt hat: „Ew. K. Majestät haben
durch Ihre früher ergriffenen Maßregeln Ihre Unterthanen, einen ge-
achteten deutschen Völkerstamm, in das tiefste Unglück gestürzt. Durch
Ihre späteren Maßregeln kann es dahin kommen, daß er allgemein mit
Schande bedeckt wird. Das vergossene Blut wird dereinst vor Gottes
Gericht über den kommen, der es verschuldet hat, und vor dem Allwissen-
den wird Befehle geben und Befehle dulden, als ein= und dasselbe geachtet
werden müssen. Ew. K. Mgjestät wissen, daß ein Greis von 73 Jahren
keine anderen irdischen Absichten mehr haben kann als daß die Stimme
der Wahrheit gehört werde und das Rechte geschehe. So haben Ew. K.
Majestät dieses Schreiben aufzunehmen!““) Blücher mochte in seinem Zorne
ein Wort zu viel sagen; es ließ sich nicht erweisen, daß die Meuterei plan-
*) Blücher an König Friedrich August, 6. Mai 1815. S. Beilage II. Bd. II, S. 634.
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