Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Meuterei in Lüttich. 739 
preußischen Freiwilligen, welche dem siegreichen Heere nachzogen, konnten 
ihre Verachtung gegen die „sächsischen Hunde“ nicht bemeistern; nach wie— 
derholten blutigen Raufhändeln mußte man mehrmals die Landstraße ver— 
meiden um schmählichen Begegnungen auszuweichen. Und dazu der gerade 
für die ehrenhaften Offiziere empörende Gedanke, daß sie an dem Kampfe 
von Belle Alliance hätten theilnehmen können und dort unzweifelhaft ihre 
Pflicht gethan haben würden! Natürlich schob man alle Schuld auf die 
preußischen Generale, die doch nur den Befehl ihres Königs ausgeführt 
und den Sachsen durchaus keinen neuen Eid zugemuthet hatten. Während 
ganz Deutschland sich das Herz erhob an dem neuen Ruhme der preußi- 
schen Waffen, herrschte in Sachsen tiefe Trauer; man sang das Lied des 
sächsischen Tambours: „O Vaterland, daß du zerrissen bist! Wie sollt' 
ich noch leben zu dieser Frist?“ Die kleine Armee hat nach der endlich 
vollzogenen Theilung noch Jahrzehnte lang unter den Folgen jenes bösen 
Tages gelitten; sie blieb mit Offizieren überfüllt, das Avancement stockte 
gänzlich. Die napoleonischen Veteranen, die alten Herren mit dem blau— 
gelben und dem rothen Bande, gaben den Ton an; aus diesen Kreisen 
ist dann der Todhaß gegen Preußen wie ein heiliges Vermächtniß auf die 
jüngere Generation übergegangen. 
Der greise Feldmarschall aber fühlte sich unglücklich bis zur Verzweif- 
lung. Seit fünfundfünfzig Jahren trug er den Degen und hatte niemals 
anderes Blut vergossen als das Blut der Feinde. Und nun diese Schmachl 
Nun mußte er, der Vater seiner Soldaten, Hinrichtungen vornehmen in 
der eigenen Armec und nachher noch sein ganzes Ansehen einsetzen um die 
Menterer vor dem Ingrimm der Preußen zu beschützen. Der gewaltige 
Mann war wie vom Fieber geschüttelt und horchte in furchtbarer Auf- 
regung auf das Knattern des Gewehrfeuers, als draußen der Spruch des 
Kriegsgerichts vollstreckt ward. An den König von Sachsen aber schrieb 
er mit seinem mächtigen Freimuth, in einer Sprache wie sie nie ein 
Feldherr gegen ein gekröntes Haupt gewagt hat: „Ew. K. Majestät haben 
durch Ihre früher ergriffenen Maßregeln Ihre Unterthanen, einen ge- 
achteten deutschen Völkerstamm, in das tiefste Unglück gestürzt. Durch 
Ihre späteren Maßregeln kann es dahin kommen, daß er allgemein mit 
Schande bedeckt wird. Das vergossene Blut wird dereinst vor Gottes 
Gericht über den kommen, der es verschuldet hat, und vor dem Allwissen- 
den wird Befehle geben und Befehle dulden, als ein= und dasselbe geachtet 
werden müssen. Ew. K. Mgjestät wissen, daß ein Greis von 73 Jahren 
keine anderen irdischen Absichten mehr haben kann als daß die Stimme 
der Wahrheit gehört werde und das Rechte geschehe. So haben Ew. K. 
Majestät dieses Schreiben aufzunehmen!““) Blücher mochte in seinem Zorne 
ein Wort zu viel sagen; es ließ sich nicht erweisen, daß die Meuterei plan- 
  
*) Blücher an König Friedrich August, 6. Mai 1815. S. Beilage II. Bd. II, S. 634. 
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