780 II. 2. Belle Alliance.
Kehler Brücke und die Schleifung der Straßburger Festungswerke.“)
Ungleich dreister sprachen der ehrgeizige Kronprinz von Württemberg
und sein Minister Wintzingerode. In ihren Briefen und Denkschriften
kündigte sich schon jene Opposition der Mittelstaaten gegen die Groß—
mächte an, welche nachher durch viele Jahre das deutsche Leben beun—
ruhigen sollte. Sie erklärten drohend, Europa könne so wenig den neuen
vierfachen Despotismus ertragen, wie einst den einfachen Napoleon's,
und der Kronprinz weissagte bereits, was er vierzig Jahre später dem
Bundestagsgesandten von Bismarck wiederholte: die Schutzlosigkeit un—
serer Südwestgrenze werde die süddeutschen Kronen über lang oder kurz
zu einem neuen Rheinbunde nöthigen.
Niemand aber war unermüdlicher als der holländische Reichspatriot
Gagern; fielen doch diesmal die Interessen der Niederlande mit denen
Deutschlands durchaus zusammen. Der Unaufhaltsame fühlte sich so recht
in seinem Elemente, wenn er in zahllosen Denkschriften das ganze Rüst—
zeug seiner reichsgeschichtlichen Gelehrsamkeit entfaltete und die lange Reihe
der französischen Gewaltthaten seit den Zeiten Heinrich's II. und Moritz's
von Sachsen nachwies. So phantastisch er in seinen föderalistischen
Träumen war, die Romantik der legitimistischen Staatslehre berührte den
Schüler Montesquien's und Hume's nicht. Auf die Behauptung, man
habe nur mit Bonaparte Krieg geführt, antwortete er frischweg mit der
Frage, ob etwa Bonaparte allein bei Belle Alliance geschossen, kartätscht
und gesäbelt hätte: „die Nationen sind es, die sich bekriegen, auf die
Nationen fallen die glücklichen wie die unglücklichen Folgen der Kriege
zurück.“ Natürlich, daß der alte Anwalt der Kleinstaaten auch gegen die
Hegemonie der Großmächte Einspruch erhob. Auch Don Labrador, der
spanische Gesandte, verlangte feierlich Zulassung zu den Conferenzen.)
Indeß die Unmöglichkeit, die an sich schwierige Verhandlung vor dem
Forum der sämmtlichen curopäischen Staaten zu erledigen, sprang in die
Augen, der Rath der Vier beschloß schon am 10. August, die Staaten
zweiten Ranges erst zu der eigentlichen Unterhandlung mit Frankreich —
das will sagen: erst nach der Entscheidung — zuzuziehen.
Die unzertrennliche Interessengemeinschaft zwischen Preußen und den
süddeutschen Staaten zeigte sich so deutlich, daß alle die bösen Erinnerungen
der Rheinbundszeiten spurlos verwischt schienen. Preußen übernahm
wieder seine natürliche Rolle als Beschützer des gesammten Deutschlands.
Was sich an rechtlichen und politischen Gründen für die Wiedereroberung
unserer alten Westmark nur irgend anführen ließ, ward in der That von
den preußischen Diplomaten und ihren Genossen aus den Kleinstaaten
mit erschöpfender Gründlichkeit ausgesprochen. Mit richtigem Takt hoben
*) Hacke an Hardenberg 19. Aug.; Hacke und Berstett an Hardenberg 21. Oct. 1815.
**) Labrador an Hardenberg, 15. September 1815.