Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

780 II. 2. Belle Alliance. 
Kehler Brücke und die Schleifung der Straßburger Festungswerke.“) 
Ungleich dreister sprachen der ehrgeizige Kronprinz von Württemberg 
und sein Minister Wintzingerode. In ihren Briefen und Denkschriften 
kündigte sich schon jene Opposition der Mittelstaaten gegen die Groß— 
mächte an, welche nachher durch viele Jahre das deutsche Leben beun— 
ruhigen sollte. Sie erklärten drohend, Europa könne so wenig den neuen 
vierfachen Despotismus ertragen, wie einst den einfachen Napoleon's, 
und der Kronprinz weissagte bereits, was er vierzig Jahre später dem 
Bundestagsgesandten von Bismarck wiederholte: die Schutzlosigkeit un— 
serer Südwestgrenze werde die süddeutschen Kronen über lang oder kurz 
zu einem neuen Rheinbunde nöthigen. 
Niemand aber war unermüdlicher als der holländische Reichspatriot 
Gagern; fielen doch diesmal die Interessen der Niederlande mit denen 
Deutschlands durchaus zusammen. Der Unaufhaltsame fühlte sich so recht 
in seinem Elemente, wenn er in zahllosen Denkschriften das ganze Rüst— 
zeug seiner reichsgeschichtlichen Gelehrsamkeit entfaltete und die lange Reihe 
der französischen Gewaltthaten seit den Zeiten Heinrich's II. und Moritz's 
von Sachsen nachwies. So phantastisch er in seinen föderalistischen 
Träumen war, die Romantik der legitimistischen Staatslehre berührte den 
Schüler Montesquien's und Hume's nicht. Auf die Behauptung, man 
habe nur mit Bonaparte Krieg geführt, antwortete er frischweg mit der 
Frage, ob etwa Bonaparte allein bei Belle Alliance geschossen, kartätscht 
und gesäbelt hätte: „die Nationen sind es, die sich bekriegen, auf die 
Nationen fallen die glücklichen wie die unglücklichen Folgen der Kriege 
zurück.“ Natürlich, daß der alte Anwalt der Kleinstaaten auch gegen die 
Hegemonie der Großmächte Einspruch erhob. Auch Don Labrador, der 
spanische Gesandte, verlangte feierlich Zulassung zu den Conferenzen.) 
Indeß die Unmöglichkeit, die an sich schwierige Verhandlung vor dem 
Forum der sämmtlichen curopäischen Staaten zu erledigen, sprang in die 
Augen, der Rath der Vier beschloß schon am 10. August, die Staaten 
zweiten Ranges erst zu der eigentlichen Unterhandlung mit Frankreich — 
das will sagen: erst nach der Entscheidung — zuzuziehen. 
Die unzertrennliche Interessengemeinschaft zwischen Preußen und den 
süddeutschen Staaten zeigte sich so deutlich, daß alle die bösen Erinnerungen 
der Rheinbundszeiten spurlos verwischt schienen. Preußen übernahm 
wieder seine natürliche Rolle als Beschützer des gesammten Deutschlands. 
Was sich an rechtlichen und politischen Gründen für die Wiedereroberung 
unserer alten Westmark nur irgend anführen ließ, ward in der That von 
den preußischen Diplomaten und ihren Genossen aus den Kleinstaaten 
mit erschöpfender Gründlichkeit ausgesprochen. Mit richtigem Takt hoben 
  
*) Hacke an Hardenberg 19. Aug.; Hacke und Berstett an Hardenberg 21. Oct. 1815. 
**) Labrador an Hardenberg, 15. September 1815.
	        
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