Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

794 II. 2. Belle Alliance. 
Und was am tiefsten verwundete: dieselben verlorenen deutschen Länder, 
denen man die Freiheit hatte bringen wollen, frohlockten über den diplo- 
matischen Erfolg des Auslandes. In heller Verzweiflung rief Rückert: 
Wird unser Siegszug denn zur Flucht? 
Ganz Frankreich höhnt uns nach. 
Und Elsaß, du entdeutschte Zucht, 
Höhnst auch! O ärgste Schmach! 
Im Rheinischen Mercur donnerte Görres mit der ganzen Wildheit 
seines Jacobinerzorns wider das Basiliskenei, das der gallische Hahn 
gelegt und die deutsche Einfalt ausgebrütet habe. Die Erbitterten wollten 
die so nahe liegenden Gründe des großen Mißlingens nicht sehen, schoben 
alle Schuld auf Hardenberg's Schwäche und auf die „deutsche Uneinigkeit", 
welche fortan ein stehender Klagepunkt in den Beschwerden der enttäusch- 
ten Patrioten bleiben sollte. Und doch hatten der König wie seine Staats- 
männer ihre Schuldigkeit im vollen Maße gethan und bei den Ministern 
der meisten Mittelstaaten treue Unterstützung gefunden. Nicht die Deut- 
schen waren uneinig gewesen, sondern Oesterreich war von Deutschland 
abgefallen. Jene alte habsburgische Hauspolitik, welche so oft deutsche 
Reichslande gegen kaiserliche Erblande an die Fremden dahingegeben, hatte 
diesmal, da für das Haus Lothringen nichts Wünschenswerthes zu erwerben 
stand, die Deutschen einfach im Stiche gelassen. 
Es war aber der Fluch des friedlichen Dualismus, daß die preußische 
Regierung fortan von der öffentlichen Meinung für die Sünden Oester- 
reichs verantwortlich gemacht wurde und, um nur den theuren Bundes- 
genossen nicht zu kränken, grundsätzlich unterließ sich selber vor der 
Nation zu rechtfertigen. Und wie frech und schamlos log diese Hofburg 
jetzt dem deutschen Volke in's Angesicht! Gentz, der nachgerade jeden sitt- 
lichen Halt verlor, versicherte im Oesterreichischen Beobachter mit dreister 
Stirn, niemals hätte zwischen den großen Mächten irgend eine Mei- 
nungsverschiedenheit über die Friedensbedingungen bestanden, und schloß 
feierlich: wäre dem nicht so, „dann haben wir das Publicum aus Un- 
wissenheit oder geflissentlich falsch berichtet!“ War es zu verwundern, wenn 
einer solchen Politik gegenüber die Sprache der Patrioten täglich heftiger 
ward und Görres wüthend schrieb: „Wie die Vendomesäule ein fortwäh- 
rendes Zeichen unserer Schande ist, so soll im Rheinischen Mercur die 
fortwährende Protestation des Volks gegen alles Halbe und Schlechte 
niedergelegt werden, damit die Nachwelt erkenne: die Zeitgenossen waren 
damit nicht einverstanden!“ 
Der unglückliche Friede verbitterte nicht nur die Stimmung der 
Nation dermaßen, daß dem jungen Deutschen Bunde von Haus aus 
auch nicht ein Schimmer freudiger Hoffnung entgegenstrahlte. Er för- 
derte auch die während des Krieges erwachsene Selbstüberschätzung des 
Volks; darüber war ja gar kein Streit, daß „das Volk“ Alles ungleich
	        
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