Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

78 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
aber auch — alle bestehenden Privilegien aufheben. Der König ist nur 
das Oberhaupt des Staates, hat nur als solches Rechte und Pflichten 
— und dies in Tagen, da Biener und andere namhafte Juristen das 
Privateigenthumsrecht der deutschen Fürsten an Land und Leuten noch 
als einen unbestreitbaren Rechtssatz verfochten. Die also über das Bereich 
des Privatrechts hinausgehobene Staatsgewalt greift ordnend und lehrend 
in alle Privatverhältnisse ein, schreibt Eltern und Kindern, Grundherren 
und Dienstboten ihre sittlichen Pflichten vor, sie vermißt sich durch ihre 
Alles vorausbedenkende gesetzgeberische Weisheit jeden möglichen Rechts- 
streit der Zukunft von vornherein zu erledigen. 
Mit diesem Gesetzbuche sprach der alte Absolutismus sein letztes Wort: 
er umgab seine Gewalt mit festen Schranken, erhob das Gemeinwesen zum 
Rechtsstaate; er betrat zugleich, indem er die Herrschaft des römischen 
Rechts zerstörte, ahnungslos den Weg, der zu einer neuen Rechtseinheit 
des deutschen Volkes führen mußte. Der mechanische Staatsbegriff der 
fridericianischen Tage ist bald nachher durch eine tiefer eindringende Philo- 
sophie, die unfertige juristische Bildung der Carmer und Suarez durch die 
Arbeiten der historischen Rechtswissenschaft Uüberwunden worden; und gleich- 
wohl blieb das Allgemeine Landrecht noch auf Jahrzehnte hinaus der kräf- 
tige Boden, dem alle weiteren Reformen des preußischen Staates ent- 
wuchsen. Der Glaube an die Herrschaft des Gesetzes, die Vorbedingung 
aller politischen Freiheit, ward eine lebendige Macht im Beamtenthum wie 
im Volke. Wenn der Staat bestand um des gemeinen Wohles willen, so 
führte eine unaufhaltsame Nothwendigkeit, von der Friedrich nichts ahnte, 
zu dem Verlangen: Aufhebung der Privilegien der höheren Stände und 
Theilnahme der Nation an der Staatsleitung. Und diese Schlüsse mußten 
früher oder später gezogen werden, da schon jetzt in dem vergrößerten 
Staatsgebiete nur eine geniale Manneskraft den schweren Aufgaben, welche 
dies Königthum sich stellte, genügen konnte. 
Bei weitem nicht in gleichem Maße hat Friedrich das geistige Leben 
seines Volkes gefördert. Wohl wissen wir aus Goethe's Bekenntnissen, wie 
das Heldenthum der sieben Jahre befruchtend und befreiend auf die 
deutsche Bildung wirkte, wie in jenen Jahren des Waffenruhmes zuerst 
wieder ein nationaler Gehalt, ein schwellendes Gefühl der Lebenskraft in 
die ermattete Dichtung drang, wie die verarmte Sprache, die längst schon 
stammelnd nach dem Ausdruck mächtigen Gefühles suchte, jetzt endlich aus 
der Plattheit und Leere sich emporrang und das große Wort fand für 
die große Empfindung: recht eigentlich unter dem Trommelschlag des 
preußischen Kriegslagers ward das erste deutsche Lustspiel, Minna von 
Barnhelm, geschaffen. Preußens Volk nahm an dem wunderbaren Er- 
wachen der Geister seinen reichen Antheil, schenkte der literarischen Be- 
wegung mehrere ihrer bahnbrechenden Talente, von Winckelmann bis 
herab auf Hamann und Herder. Und ganz und gar von preußischem
	        
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