82 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
beherrschte. Das rohe Kauderwälsch, das in dem Tabakscollegium seines
Vaters gepoltert wurde, erschien dem schönheitstrunkenen Jüngling ebenso
widerwärtig wie das schwerfällige Schriftdeutsch der gelahrten Pedanterei,
das er aus den Werken hartgläubiger Theologen kennen lernte; wohl
oder übel behalf er sich mit dieser ungeschlachten Sprache, erledigte die
laufenden Geschäfte bald im rauhen Dialekt, bald im steifen Kanzleistile.
Für die Welt der Ideen, die in seinem Kopfe gährte, fand er den wür-
digen Ausdruck allein in der Sprache der weltbürgerlichen Bildung. Er
bekannte offen, daß seine bizarre und tudeske Muse ein barbarisches Fran-
zösisch rede, und schlug im Bewußtsein dieser Schwäche den Kunstwerth
und die Sprachreinheit seiner Verse noch niedriger an als sie es ver-
dienten. Das Eine mindestens was den Dichter macht, die proteische
Begabung, war ihm keineswegs versagt. Seine Muse gebot über die
ganze Tonleiter der Stimmungen; sie konnte bald in würdigem Ernst
das Große und Erhabene aussprechen, bald in satirischer Laune mit der
Bosheit eines Kobolds — oder, die Wahrheit zu sagen: mit dem Muth-
willen eines Berliner Gassenjungen — ihre Opfer necken und zausen.
Und doch sagte ihm ein richtiges Gefühl, daß in seinen Versen der Reich-
thum seiner Seele nicht so voll und rein ausströmte wie in den Klängen
seiner Flöte; die höchste Fülle des Wohllauts, die letzte Tiefe der Empfin-
dung blieb dem Deutschen unerreichbar in der fremden Sprache.
Der Philosoph von Sanssouci wurde nie ganz heimisch in der frem-
den Bildung, die er so lebhaft bewunderte. Vor Allem trennte ihn von
den französischen Genossen die Strenge seiner sittlichen Weltanschauung.
Es ist die Größe des Protestantismus, daß er die Einheit des Denkens
und des Wollens, des religiösen und des sittlichen Lebens gebieterisch
fordert. Friedrich's sittliche Bildung wurzelte zu tief im deutschen pro-
testantischen Leben, als daß er die geheime Schwäche der französischen
Philosophie nicht empfunden hätte. Er stand der Kirche mit freierem
Gemüthe gegenüber als der Katholik Voltaire, der in seiner Henriade,
dem Evangelium der neuen Toleranz, endlich doch zu dem Schlusse ge-
langte, daß alle anständigen Menschen der römischen Kirche angehören
sollen; er hat niemals wie dieser seinen Nacken gebeugt unter religiöse
Formen, die sein Gewissen verwarf, und konnte mit der gelassenen
Heiterkeit des geborenen Ketzers ertragen, daß die römische Curie seine
Werke auf den Index der verbotenen Bücher setzte. Mag er die Philo-
sophie zuweilen herablassend als seine Passion bezeichnen, das Nachdenken
über die großen Probleme des Daseins ist ihm doch weit mehr als ein
geistreicher Zeitvertreib; nach der Weise der Alten sucht und findet er in
der Gedankenarbeit die Ruhe des mit sich selber einigen Geistes, die
über allen Wechselfällen des Geschickes erhabene Sicherheit der Seele.
Nach den Verirrungen leidenschaftlicher Jugend lernt er früh, den Zug
künstlerischer Weichheit und Sinnlichkeit, der ihn zu beschaulichem Genusse