Die ultramontane Partei. 95
in Paris weilten, über Südfrankreich die Raserei des weißen Schreckens
herein: der katholische Pöbel stürmte die Häuser der Protestanten und
mordete die Ketzer unter dem Rufe: laßt uns Würste machen aus Cal—
vins Blute!
Bei so günstigem Winde fuhr das Schifflein Petri wieder mit vollen
Segeln daher. Die Natur der Dinge zwang den römischen Stuhl, trotz
der Sanftmut des Papstes und trotz der Klugheit seines Staatssekretärs
Consalvi, Schritt für Schritt zu den Gedanken des Zeitalters der Gegen—
reformation zurückzukehren. In Deutschland nisteten sich in aller Stille
die ersten Jesuiten wieder ein und bald war auch die zweischneidige Wir—
kung der Sekularisationen fühlbar. Der heranwachsende plebejische Klerus
war besitz- und heimatlos, nicht mehr, wie die reichen adeligen Domkapitel
der alten Zeit, durch politische Interessen mit dem Vaterlande verbunden.
Als Helfferich und die beiden anderen Oratoren der katholischen Kirche
auf dem Wiener Kongresse ihre ultramontanen Ansichten aussprachen,
fanden sie noch wenig Anklang beim deutschen Klerus; doch seitdem wuchs
die klerikale Partei von Jahr zu Jahr unmerklich an. Sie trat noch sehr
behutsam auf, da das Beamtentum in allen deutschen Staaten sie mit
Mißtrauen betrachtete; selbst Kaiser Franz und Metternich schätzten zwar
den streitbaren Katholizismus als den natürlichen Bundesgenossen der
österreichischen Partei draußen im Reiche, jedoch von der Selbständigkeit der
Kirche wollten sie als strenge Absolutisten nichts wissen. Um sich bei den
Höfen einzuschmeicheln, frischte der Jesuitismus zunächst jene jakobitischen
Lehren wieder auf, welche einst das Haus Stuart ins Verderben gestürzt
hatten: die Reformation sei der letzte Quell aller Revolutionen, die Kirche
der Hort und Halt des Königtums, denn sie predige den leidenden Ge-
horsam, sie entbinde durch ihre mystische Weihe den König von Gottes
Gnaden aller Pflichten gegen seine Untertanen.
Die eifrigsten Anhänger der ultramontanen Partei waren die zahl-
reichen Proselyten, welche die Romantik in das römische Lager hinüber-
geführt hatte: so die geistreichen Gebrüder Schlosser in Frankfurt, so die
Grafen Stolberg in Holstein, die mit den Klerikalen des Münsterlandes
in enger Verbindung standen, so vor allen jene mächtige Konvertitenschar,
die von Wien ihre rührigen Sendboten ins Reich ausschickte. Welch ein
klägliches Bild geistigen Verfalls bot jetzt Friedrich Schlegel! In seinem
ästhetischen Hochmut hatte er sich einst vermessen: „ich denke eine neue
Religion zu stiften, es ist an der Zeit!“ Derselbe ästhetische Rausch hatte
ihn sodann, als die neue Religion sich nicht finden wollte, mitsamt seiner
geistreichen Frau Dorothea Mendelssohn und ihrem Sohne, dem naza-
renischen Maler Veit, in die Arme der römischen Kirche getrieben; nun
war er längst schon eingerostet in den Angeln eines fertigen Systems, das
auf jede Frage eine Antwort bereit hielt. Wilhelm Humboldt sah mit
Entsetzen, wie in diesem einst so beweglichen Geiste jetzt alles abgeschlossen