Hänleins Sturz. 143
legenheit durch schneidende Sarkasmen und abweisende Kälte empfinden.
Die meisten standen vor ihm mit ähnlichen Gefühlen wie der Hund vor
einem Glase Wein. Man wußte, daß Humboldt das Ministerium des
Auswärtigen zu übernehmen hoffte, aber bei Hardenbergs unversöhnlichem
Mißtrauen seinen Wunsch nicht durchsetzen konnte. Natürlich, daß die rein
persönliche Gegnerschaft der beiden Staatsmänner sofort als politische Feind-
schaft gedeutet und Humboldt als der geheime Führer der preußischen Um-
sturzpartei verrufen wurde. Keine radikale Tollheit, die man ihm nicht
zutraute. Die Diplomaten in Wessenbergs Hause wußten ganz sicher,
daß Preußen einen Krieg auf Leben und Tod gegen die Mittelstaaten
vorbereitete; schon habe Humboldt einen Verfassungsplan „von beispiel-
loser Liberalität“ ausgearbeitet; sobald Blücher nach Berlin zurückkomme,
wolle „diese exaltierte Armee“ dem Könige eine Bittschrift überreichen und
fordern, daß das Heer, wie einst Cromwells Dragoner, durch Armee-
deputierte in dem preußischen Reichstage vertreten werde.) Mit Begierde
verschlangen die Bundesgesandten einen Brief, welchen der liberale würt-
tembergische Minister Wangenheim zur Empfehlung seines Verfassungsent-
wurfs an seinen König gerichtet und sofort veröffentlicht hatte. Darin ward
Preußen als ein durch Geheimbünde völlig zerrütteter Staat geschildert und
dann dem Stuttgarter Despoten die Lockung vorgehalten: wenn in Preußen
eine Revolution ausbräche und zugleich im Süden ein deutscher Staat mit
einer freien Verfassung bestände, so wäre ein Umschwung der Dinge mög-
lich, wie ihn die kühnste Phantasie kaum ersinnen könntel!
So war die Stimmung am Bundestage, als Hänlein mit seinen
vertraulichen Aufträgen zurückkehrte. Graf Buol besaß ein unfehlbares
Mittel um die preußischen Vorschläge sofort zu beseitigen; er brauchte sie
nur den kleinen Genossen mitzuteilen und er stand nicht an diese Waffe
zu gebrauchen. Der zärtliche Freund, der im Winter der ersten Anfrage
so freundlich entgegengekommen war, nahm jetzt, wie Hänlein klagte, die
neue Eröffnung sehr tragisch auf (30. Juni)g; er hielt sich verpflichtet so-
gleich mit den andern Gesandten Rücksprache zu nehmen und zwang da-
durch den Preußen, auch seinerseits das Geheimnis zu brechen. Der Er-
folg war augenblicklich und vollkommen. Ein Aufschrei der Entrüstung
ging durch den gesamten Bundestag. Wie, dieser revolutionäre Staat
unterstand sich, die kaum erst abgeschlossene Bundesakte, die Bibel Buols,
anzutasten und forderte sogar den Oberbefehl über die Kriegsmacht einiger
Souveräne! Jedermann überhäufte den ungeschicktesten aller preußischen
Diplomaten mit Vorwürfen; selbst der ruhige Plessen sagte ihm ins Ge-
sicht: „der Bund kann auch ohne Preußen bestehen.“ Der Staatskanzler
war auf das Peinlichste überrascht, als er in Karlsbad von diesen Frank-
furter Auftritten hörte und gleichzeitig unmittelbar aus Wien erfuhr, daß
*) Berstetts Berichte, 16. Dezember 1815, 6. März 1816.