226 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
Provinzial-Landwehrkorps unter der Aufsicht der Provinzialstände. Mit
verdächtigem Eifer griff namentlich der polnische Adel diesen Gedanken auf.
„Ohne Nationalität ist die Landwehr unausführbar“ — so hieß es in
wiederholten Eingaben des Herrn von Bojanowsky und anderer Grundherren
Posens; gewähre der König dem Großherzogtum eine selbständige Land—
wehr, so würden die polnischen Edelleute freudig zu den Fahnen eilen.“)
Als man mit der Ausführung des Wehrgesetzes begann, zeigte sich
wider Erwarten am Rhein der geringste Widerstand: die kleinen Leute
dort begrüßten die kurze Dienstzeit als eine Erleichterung nach der harten
napoleonischen Konskription, auch die höheren Stände ertrugen die Wehr—
pflicht ohne Murren, weil sie der Idee der allgemeinen Rechtsgleichheit
entsprach. Um so lauter lärmten die vormals bevorrechteten Klassen im
Osten: die kantonfreien großen Städte, der stolze Adel von Neuvorpommern
und Sachsen. Dreimal baten die Stadtverordneten von Berlin trotzig um
Wiederherstellung der alten Militärfreiheit ihrer Kommune, bis der König
drohte die Namen der Unterzeichner in den Zeitungen zu veröffentlichen;
und als im Sommer 1817 die Breslauer Landwehr den Fahneneid schwören
sollte, da brachen gar Straßenunruhen aus, an denen freilich das Ungeschick
einzelner Beamten und die altberüchtigte Rauflust des Breslauer Pöbels
mehr Anteil hatten als die Widersetzlichkeit der Wehrmänner. Nur die
Macht der absoluten Krone konnte sich durch dies Gestrüpp des Wider-
spruchs einen Weg bahnen und die Grundlagen der neuen Heeresver-
fassung für Deutschland retten; ein allgemeiner preußischer Landtag, in
solchem Augenblicke berufen, hätte ohne Zweifel sofort den Kampf gegen die
allgemeine Wehrpflicht begonnen.
Beim Fortschreiten des Werkes ergaben sich indes ernste technische
Schwierigkeiten, welche alle Zweifel und Bedenken des Auslandes zu be-
stätigen schienen. Schon die Anschaffung der Waffenvorräte für die Land-
wehr konnte bei dem trostlosen Zustande der Finanzen nur langsam ge-
lingen. Für das erste Aufgebot hatte Boyen in beständigem Kampfe mit
dem Finanzminister endlich die nötigen Mittel gewonnen, so daß im
Dezember 1819 an dem vorgeschriebenen Waffenbestande nur noch 8415
Gewehre fehlten; viele Kreise statteten ihre Wehrmänner freiwillig mit
Seitengewehren und Ulanen-Tschapkas aus. Aber für das zweite Auf-
gebot war noch fast gar nichts geschehen, ihm fehlten von 174,080 Gewehren
noch 135,559.757)
Dieselbe Not verschuldete auch, daß die Stärke des stehenden Heeres
von vornherein zu niedrig bemessen wurde. Das Wehrgesetz hatte ver-
sprochen, die Zahl der Linientruppen werde sich nach den jedesmaligen
Staatsverhältnissen richten. Die ergänzende neue Landwehrordnung vom
) Klewitz, Bericht aus Posen, 24. Sept. 1817.
*) Waffenrapport der Landwehr vom Dezember 1819.