Die evangelische Union. 241
Kirchen für das christliche Bewußtsein der Gegenwart nicht mehr die alte
Bedeutung besaßen. An seinem Berufe zur Begründung der Union zweifelte
der König niemals. Denn er dachte hoch von den Pflichten des landes—
herrlichen Kirchenregiments, er wußte, daß die protestantische Kirche Deutsch—
lands manche der Tugenden, die sie vor dem harten Sektengeiste der Nach—
barlande voraus hatte, ihre weitherzige Duldsamkeit und ihren freieren
Weltsinn zum guten Teile ihrer Verbindung mit der Staatsgewalt ver—
dankte; die unabhängige Gemeindeverfassung des Calvinismus kannte und
liebte er wenig.
Schon nach dem ersten Pariser Frieden wurde eine theologische Kom—
mission beauftragt, eine gemeinsame Liturgie für die Protestanten Preußens
festzustellen; nicht würdiger als durch die Versöhnung des alten Bruder—
zwistes glaubte der fromme Fürst seinen Dank für die Wunder dieses
Krieges erweisen zu können. Nun kam das dritte Jubeljahr der Refor—
mation. Marheinekes Reformationsgeschichte und zahlreiche andre Schriften
erinnerten die freudig erregte protestantische Welt wieder an die ersten,
beiden Kirchen gleich teuren Taten Martin Luthers; in Nassau, wo die
großen Uberlieferungen des duldsamen oranischen Heldengeschlechts noch
fortlebten, traten die Gemeinden beider Bekenntnisse zu einer Landeskirche
zusammen. Jetzt schien auch dem Könige die Stunde der Entscheidung ge-
kommen. Er selber wollte als vornehmstes Glied der Kirche zu seinem
Volke sprechen — denn er wisse, daß der Bürger, der Bauer und die
Armee auf das Wort ihres Königs noch etwas gäben — und begnügte
sich mit den einfachen praktischen Vorschlägen, welche Bischof Sack schon
vor fünf Jahren in seiner Schrift über die Vereinigung der protestanti-
schen Kirchenparteien empfohlen hatte. Genug, wenn das Abendmahl in
sämtlichen evangelischen Kirchen gleichmäßig nach dem alten biblischen
Ritus allen Protestanten gespendet und die Geistlichen beider Bekenntnisse
ohne Unterschied zu allen Predigerstellen zugelassen wurden; aus dieser
äußeren Vereinigung, die den Gewissen keine Gewalt antat, konnte
dann im Laufe der Jahre die lebendige Gemeinschaft der Gemüter er-
wachsen.
Bei den Vorarbeiten ging dem Monarchen sein Hofbischof Eylert
an die Hand, eine jener schmiegsamen Prälatennaturen, welche der Kirche
freilich nicht durch den Mut des Bekenners voranleuchten, doch zuweilen,
wie Thomas Cranmer, bei einem Werke der Vermittlung ihr unentbehr-
lich werden. Der gewandte Hofmann hatte schon daheim in der Graf-
schaft Mark, wo die beiden Konfessionen bunt durcheinander wohnten,
den Boden für die Union wohl vorbereitet gefunden und stand den Ge-
danken der Presbyterialverfassung näher als der König; in seinen dogma-
tischen Anschauungen kam er niemals weit über den alten Rationalismus
hinaus. Er entwarf nunmehr eine Ansprache des Monarchen an die
Konsistorien, die den ersten Theologen Berlins zur Prüfung vorgelegt und
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. 1I. 16