278 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
sogar das reiche Wuppertal besaß zu Anfang des Jahrhunderts keine
einzige Buchhandlung; jetzt bildete sich in Bonn ein neuer Mittelpunkt
für den literarischen Verkehr, und der rührige Perthes knüpfte sogleich
seine Geschäftsfreundschaften an. Die alten Kölner Patrizier sprachen,
wie die Straßburger heute, in Gesellschaft französisch, unter sich im Dialekt;
die jungen mußten nun doch ein verständliches Hochdeutsch lernen. Manches
Jahr ernsten Kampfes und gehässiger gegenseitiger Verkennung sollte noch
dahingehen, bis die neue Provinz ihres Staates froh wurde. Wer aber
die geistreichen, erregbaren, bildsamen, für alles Fremde empfänglichen
Rheinfranken so gründlich kannte wie der treue Arndt, der bezweifelte schon
jetzt nicht, daß diesem Volke die Berührung mit dem scharfen altpreußischen
Wesen zum Heile gereichen mußte. Nur die Fäulnis seines Staates, nur
die Unnatur der Theokratie und der Fremdherrschaft hatte diesen hoch-
begabten Stamm so tief herabgebracht; nur ein starker Staat konnte ihn
emporheben, und das schönste und älteste aller deutschen Lande wieder
mit der rüstigen Kraft des neuen nationalen Lebens befruchten. —
Dergestalt befand sich das halbe, oder im Grunde das gesamte
Staatsgebiet in einem Zustande der Umbildung. Der Staat bedurfte für
einige Jahre der monarchischen Diktatur. Gewiß konnte das Werk der
Verwaltungsreform seinen Abschluß nur in der Reichsverfassung finden,
deren Notwendigkeit der König selbst in so vielen Kabinettsordres aner-
kannt hatte; gewiß konnten die unzähligen widerstrebenden Elemente des
Staates nur durch die anhaltende Gemeinschaft politischer Arbeit und
Parteiung zu lebendiger Staatsgesinnung erzogen werden; aber die Grund-
lagen der Verwaltung mußten doch erst feststehen, ehe man die Krone mit
parlamentarischen Formen umgab. Diese Millionen schwedischer und pol-
nischer, sächsischer und französischer Herzen bedurften der Zeit, um ihren
Kummer auszuweinen, in die neuen Verhältnisse sich zu finden. Wer
durfte es verantworten, die partikularistischen Vorurteile, die tausend ver-
letzten örtlichen Interessen eines politisch noch gänzlich ungeschulten Volkes
sogleich im parlamentarischen Kampfe auf einander platzen zu lassen? die
allgemeine Wehrpflicht, die Steuergesetze, die Einteilung der Provinzen
jetzt schon den Angriffen einer Opposition auszusetzen, die von den Lebens-
bedingungen eines großen Staates nichts ahnte und zum Teil offenbar
landesverräterische Absichten hegte?
Zu Preußens Unheil war der König nicht mehr in der Lage, den
Zeitpunkt für die Begründung der Verfassung frei zu wählen. Er selber
hatte sich der Freiheit beraubt, als er jene unselige Verordnung vom
22. Mai 1815 unterschrieb, welche die Berufung einer aus den Provinzial-
ständen gewählten Repräsentation des Volkes verhieß. Im selben Sinne