Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

288 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. 
berufen, vielmehr drei Kommissäre in die Provinzen zu senden. Alten— 
stein war für die westlichen Provinzen bestimmt, Beyme für Pommern 
und Preußen, Klewitz für Brandenburg, Sachsen, Schlesien, Posen. Erst 
wenn die Berichte der drei Abgesandten vorlägen, sollte die Kommission 
ihr Gutachten abgeben. Der Staatskanzler erklärte zugleich in einer län— 
geren Ansprache: die älteren Landstände seien wahre Hemmräder in der 
Staatsmaschine gewesen; seine Verbesserungen und seinen Flor verdanke 
der Staat dem Genie seiner Regenten; aber da der jetzige Zustand nicht 
ohne großen Nachteil fortdauern könne, da die Nation reif und würdig 
sei, eine dauernde Verfassung und Repräsentation zu erhalten, da sie 
durch die tapfere Verteidigung des Vaterlandes und die Erkämpfung der 
Selbständigkeit desselben ein seltenes Beispiel staatsbürgerlicher Tugend 
und Treue gegen den König gegeben habe, so sei der König zu dem frei— 
willigen Entschlusse gekommen, eine repräsentative Verfassung zu geben. 
Daran schloß sich die bestimmte Angabe der Schranken, welche der Monarch 
seiner Gewährung gesetzt habe: „S. Maj. wollen die künftigen Stände 
gern über die zu gebenden Gesetze hören, aber Höchst Ihr bestimmter Wille 
ist, ihnen nur eine beratende Stimme einzuräumen, mit ausdrücklicher 
Ausschließung von aller Einmischung in die Verwaltung.“ 
Im Spätsommer und Herbst vollzogen die drei Minister ihre Rund— 
reise. Sie waren beauftragt sich über alle ständischen Institutionen, die 
jemals in den Territorien bestanden, genau zu unterrichten und für die 
Zukunft vornehmlich zwei Fragen zu stellen: ob eine Vertretung des Bauern- 
standes neben Adel und Städten möglich und nützlich sei? und ob man 
Reichsstände wünsche oder bloß Provinzialstände? Im ganzen wurden 
gegen 300 Personen um ihre Ansicht befragt (in Schlesien 57 Notable). 
Die weitaus größere Hälfte gehörte dem Landadel an, was sich aus den bis- 
herigen ständischen Verhältnissen notwendig ergab; doch gaben auch Kauf- 
leute und Gewerbtreibende, Bürgermeister und Geistliche in großer Zahl 
ihre Meinung ab, in den Küstenprovinzen wendete sich Beyme mit Vor- 
liebe an die bürgerlichen Klassen. Dagegen wurden aus dem Bauern- 
stande nur wenige gehört, die meisten in Schlesien und Magdeburg, 
kein einziger in den vormals sächsischen Landesteilen, wo der Bauer 
kaum erst begann sich von dem Drucke der Adelsherrschaft zu erholen. 
Zieht man die Summe aus dem Gewirr der zumeist treuherzig, mit 
deutschem Freimut vorgetragenen Ansichten, so erhellt unwidersprechlich: 
eine durchgebildete öffentliche Meinung oder gar ein leidenschaftlicher Volks- 
wille, der auf die Krone hätte drücken können, bestand noch nicht, die alt- 
ständische Bewegung fand nicht nur kein Gegengewicht im Volke, sondern 
eine starke Unterstützung an dem naiven Partikularismus der Provinzen. 
Provinzialstände wünschte man fast überall; sehr vereinzelt stand der Prä- 
sident von Motz, der um der Staatseinheit willen lediglich einen Reichstag 
verlangte. Dagegen erklärten sich zahlreiche Stimmen für Provinzialstände
	        
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